Kennen Wir Uns Nicht?
nicht total ... ich meine, es war ... es hat mich total angetörnt!« Die Worte kommen heraus, bevor ich es verhindern kann.
Warum zum Teufel habe ich das gesagt? Ich bin überhaupt nicht angetörnt.
»Ehrlich?« strahlt Eric und stellt seine Aktentasche ab.
Oh, nein. Nein, nein, nein. Neeeiiin.
Ich kann unmöglich jetzt schon Sex mit Eric haben. Erstens kenne ich ihn gar nicht, jedenfalls kaum. Und zweitens habe ich noch nicht gelesen, was nach der sanften Stimulation der Oberschenkelinnenseiten kommt.
»Noch nicht so angetörnt«, relativiere ich eilig. »Ich meine, gerade so viel, dass ich weiß ... dass ich merke ... ich meine, ganz offensichtlich haben wir ein tolles ... wenn ich mir das Schlafzimmer so ansehe, eine tolle ... äh ... Spielwiese ...«
Halt. Die. Klappe.
»Jedenfalls ...« Ich lächle so freudestrahlend wie möglich. »Ich wünsch dir einen schönen Tag.«
»Ich dir auch.« Sanft berührt Eric meine Wange, dann dreht er sich um und geht. Ich höre die Tür ins Schloss fallen und sinke auf einen Stuhl. Das war ganz schön knapp. Ich greife mir das Ehe-Handbuch und blättere zum Buchstaben »V«. Ich muss mehr über das Vorspiel herausfinden.
Ganz zu schweigen von Fellatio, wie mir plötzlich bewusst wird. Und Ferkeleien.
Damit könnte ich eine Weile beschäftigt sein.
Zwei Stunden und drei Tassen Kaffee später klappe ich das Handbuch zu und lehne mich zurück. Mir raucht der Schädel. Ich habe es von vorn bis hinten durchgelesen und bin jetzt mehr oder weniger im Bilde.
Ich weiß jetzt, dass Eric und ich die Wochenenden oft in exquisiten Luxushotels verbringen. Ich weiß, dass wir uns gern Wirtschafts-Sendungen und The West Wing ansehen. Und dass wir über Brokeback Mountain unterschiedlicher Ansicht waren. Dabei musste ich feststellen, dass es da um schwule Cowboys geht. (Schwule Cowboys?)
Ich weiß jetzt, dass Eric und ich am liebsten Bordeaux-Weine trinken. Ich weiß, dass ich »rastlos« und »beharrlich« bin und »rund um die Uhr arbeite«. Ich habe »keine Geduld mit Schwachköpfen«, »verachte Zeitverschwendung« und weiß »die edleren Dinge des Lebens zu schätzen«.
Was mir irgendwie neu ist.
Ich stehe auf und trete ans Fenster, versuche zu verdauen, was ich da gelesen habe. Je mehr ich über die achtundzwanzigjährige Lexi erfahre, desto deutlicher wird das Gefühl, dass sie ein völlig anderer Mensch ist. Sie sieht nicht nur anders aus. Sie ist auch anders. Sie ist ein Boss. Sie trägt beigefarbene Designerkleider und La Perla-Unterwäsche. Sie kennt sich mit Wein aus. Sie isst nie Brot.
Sie ist erwachsen. Genau das ist sie. Ich werfe einen Blick in den Spiegel, und mein achtundzwanzigjähriges Gesicht starrt mich an.
Wie um alles in der Welt wurde aus mir ... die da?
Einer spontanen Eingebung folgend gehe ich ins Schlafzimmer, dann weiter in die Kleiderkammer. Irgendwo muss es doch Hinweise geben. Ich setze mich an mein schickes, minimalistisches Schminktischchen und betrachte es schweigend.
Fangen wir doch gleich mal damit an! Mein alter Schminktisch war rosa angemalt und das totale Chaos - alles voller Tücher, überall Make-up-Töpfe. Kettchen hingen am Spiegel. Das hier ist so penibel. Silberne Döschen in Reih und Glied, eine einzelne Schale mit einem Paar Ohrringe darin und ein Art-Deco-Handspiegel.
Wahllos ziehe ich eine Schublade auf und finde einen Stapel ordentlich gefalteter Tücher. Daraufliegt eine glänzende DVD, mit Filzer beschriftet - Ambition: Folge 1. Ich nehme sie in die Hand, verwundert, und dann plötzlich wird mir klar, was das ist. Es ist diese Sendung, von der Amy gesprochen hat. Ich im Fernsehen!
Das muss ich sehen! Erstens weil ich unbedingt wissen will, wie ich aussah, und zweitens um das Puzzle meines Lebens zu vervollständigen. In dieser Sendung hat Eric mich zum ersten Mal gesehen. Sie hat mir den großen Durchbruch bei der Arbeit beschert. Damals hatte ich wahrscheinlich keine Ahnung, wie entscheidend das alles sein würde.
Eilig laufe ich ins Wohnzimmer, finde den DVD-Player schließlich hinter einer Milchglasscheibe und schiebe die DVD hinein. Es dauert nicht lange, bis der Vorspann auf allen Wandbildschirmen in der Wohnung läuft. Ich spule vor, bis mein Gesicht erscheint - dann drücke ich auf PLAY.
Ich bin darauf vorbereitet, dass ich mich möglicherweise vor Scham hinterm Sofa verstecken möchte. Aber eigentlich ... sehe ich gar nicht so schlecht aus! Meine Zähne sind schon verblendet oder überkront oder was ... aber
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