Kennen Wir Uns Nicht?
Gedankenblasen, die zwischen ihnen hin und her schweben, förmlich sehen. Aber ich kann sie nicht mehr lesen. Ich gehöre nicht mehr dazu.
»Leute!« Ich versuche zu lächeln. »Bitte! Ihr müsst mir helfen. Ich habe mein Gedächtnis verloren. Ich kann mich nicht erinnern. Hatten wir ... hatten wir Streit oder irgendwas?«
»Nein.« Fi zuckt mit den Schultern.
»Aber dann verstehe ich es nicht.« Flehend blicke ich in die Gesichter. »Ich weiß nur noch, dass wir uns echt gut verstanden haben! Freitagabend waren wir alle auf der Piste. Wir hatten Bananencocktails, Loser Dave hat mich versetzt, wir haben Karaoke gesungen ... wisst ihr noch?«
Fi atmet scharf aus und sieht Carolyn mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Das ist lange her.«
»Und was ist inzwischen passiert?«
»Hör zu.« Fi seufzt. »Lassen wir es einfach so, wie es ist. Du hattest diesen Unfall, du bist krank, wir wollen dich nicht aufregen ...«
»Na, dann komm! Holen wir uns zusammen ein Sandwich.« Debs sieht Fi an, als wollte sie sagen: »Lass ihr doch ihren Willen!«
»Tut nicht so gönnerhaft.« Meine Stimme klingt schärfer, als es gemeint war. »Vergesst das mit dem Unfall! Ich bin nicht krank und gebrechlich. Es geht mir gut. Aber ihr müsst mir die Wahrheit sagen.« Verzweifelt sehe ich sie an. »Wenn wir keinen Streit hatten, was ist dann los? Was ist passiert?«
»Nichts ist passiert, Lexi.« Fi klingt etwas betreten. »Es ist nur ... wir hängen einfach nicht mehr mit dir rum. Wir sind nicht mehr miteinander befreundet.«
»Aber wieso nicht?« Mein Herz hämmert, aber ich versuche, ruhig zu bleiben. »Hat es damit zu tun, dass ich eure Chefin bin?«
»Es hat nichts damit zu tun, dass du unsere Chefin bist. Das wäre egal, wenn du nicht ...« Fi stockt. Sie rammt ihre Hände in die Jackentaschen, sieht mich nicht an. »Wenn ich ehrlich sein soll, hat es damit zu tun, dass du eine ...«
»Was?« Verwundert blicke ich von einem Gesicht ins nächste. »Sag es mir!«
Fi zuckt mit den Schultern. »... dass du eine Bitch bist.«
»Wohl eher eine Bossbitch aus der Hölle«, murmelt Carolyn.
Mir bleibt die Luft weg. Bossbitch aus der Hölle? Ich?
»Ich ... ich verstehe nicht«, stottere ich schließlich. »Bin ich denn keine gute Chefin?«
»Doch, doch!« Carolyns Stimme quillt über vor Sarkasmus. »Du stellst uns zur Rede, wenn wir zu spät kommen. Du schreibst auf, ob wir die Mittagspause auch genau einhalten, du überprüfst stichprobenartig unsere Spesenabrechnungen ... oh, wir haben einen Mordsspaß bei den Bodenbelägen.«
Meine Wangen pochen, als hätte sie mir ins Gesicht geschlagen.
»Aber ich würde nie ... so bin ich gar nicht ...«
»Doch.« Carolyn schneidet mir das Wort ab. »Bist du.«
»Du hast gefragt, Lexi.« Fi verdreht die Augen, wie sie es immer tut, wenn ihr eine Situation unangenehm ist. »Deshalb ziehen wir nicht mehr zusammen rum. Du machst dein Ding, und wir machen unsers.«
»Ich bin doch keine Bitch«, bringe ich schließlich hervor, mit zitternder Stimme. »Das kann nicht sein. Wir sind doch befreundet! Ich bin´s, Lexi! Wir haben Spaß zusammen, wir gehen tanzen, wir besaufen uns ...« Tränen brennen in meinen Augen. Ich sehe in die Gesichter, die ich so gut kenne - und dann auch wieder nicht -, und versuche verzweifelt, einen Funken des Erkennens zu entdecken. »Ich bin‘s! Lexi! Das Frettchen! Kennt ihr mich denn nicht mehr?«
Fi und Carolyn werfen sich einen Blick zu.
»Lexi ...«, sagt Fi fast sanft. »Du bist unsere Chefin. Wir tun, was du sagst. Aber wir gehen nicht zusammen Mittag essen. Oder abends was trinken.« Sie schwingt ihre Tasche auf die Schulter und seufzt. »Na gut, meinetwegen kannst du heute mitkommen, wenn du willst...«
»Nein«, sage ich zutiefst verletzt. »Ist schon okay. Danke.« Mit zitternden Knien drehe ich mich um und gehe.
ZEHN
Ich bin benommen, schockiert.
Auf dem Weg vom Büro nach Hause saß ich wie in Trance in meinem Taxi. Irgendwie habe ich es trotzdem noch geschafft, mit Gianna unsere Dinnerparty durchzusprechen und mir am Telefon Mums Tirade über ihren jüngsten Zusammenstoß mit den Behörden anzuhören. Jetzt ist es früher Abend, und ich liege in der Badewanne. Aber meine Gedanken kreisen ununterbrochen immer nur um ein und dasselbe.
Ich bin eine Bossbitch aus der Hölle. Alle meine Freundinnen hassen mich. Was zum Teufel ist passiert?
Jedes Mal, wenn ich an Carolyns schneidende Stimme denke, zucke ich förmlich zusammen. Gott weiß, was ich ihr
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