Keraban Der Starrkopf
das schnell abgemacht, wendete er sich an die vornehme Reisende.
»Sie behaupten also, fragte er sie, daß vergangene Nacht einige Uebelthäter versucht haben, in Ihr Zimmer einzudringen?
– Das behaupte ich.
– Und daß dieselben diesen verbrecherischen Versuch eben wiederholt haben?
– Sie selbst oder andere.
– Und vor kurzer Zeit?
– Vor wenigen Minuten.
– Würden Sie sie wieder erkennen?
– Nein… Mein Zimmer war dunkel, der Hof hier ebenfalls, so daß ich deren Gesicht nicht sehen konnte.
– Waren es viele Männer?
– Das weiß ich nicht.
– Wir werden’s aber erfahren, Schwester, rief der Seigneur Yanar, wir werden’s erfahren, und dann wehe den Verruchten!«
In demselben Augenblicke flüsterte Keraban dem Holländer wieder in’s Ohr:
»Es ist nichts zu fürchten! Uns hat kein Mensch gesehen!
– Ein wahres Glück, antwortete Van Mitten, dem es vor den Folgen dieses Abenteuers immerhin noch etwas bangte, denn mit diesen kurdischen Teufeln könnte die Geschichte für uns schlimm ablaufen.«
Inzwischen ging der Richter auf und ab; zum großen Mißvergnügen der Kläger schien er noch gänzlich unschlüssig zu sein.
»Richter, nahm die edle Sarabul wieder das Wort und kreuzte dazu die Arme über der Brust, soll denn die Gerechtigkeit in Ihren Händen ganz ohnmächtig bleiben?… Sind wir nicht Unterthanen eines Sultans, welche auf seinen Schutz Anspruch haben?… Eine Frau meines Standes sollte das Opfer eines so schimpflichen Attentates gewesen sein, und die Schuldigen, welche von hier unmöglich haben entweichen können, entgingen der verdienten Strafe?
– Sie ist wirklich prächtig in ihrer Art, diese Kurdin! bemerkte der Seigneur Keraban sehr richtig.
– Prächtig… aber furchteinflößend! meinte Van Mitten.
– Was beschließen Sie, Richter? fragte der Seigneur Yanar.
– Lichter, Fackeln her! rief die edle Sarabul, dann will ich sehen… suchen… und erkenne vielleicht die Schurken, welche es gewagt haben…
– Das ist unnöthig, fiel ihr der Richter in’s Wort. Ich nehme es auf mich, den oder die Schuldigen zu entdecken.
– Ohne Licht?…
– Ohne Licht!«
Damit gab der Beamte seinem Gerichtsdiener ein Zeichen, und dieser verschwand, nachdem er bejahend genickt, durch die Thür im Hintergrunde.
Während dem konnte sich der Holländer nicht enthalten, seinem Freunde Keraban zuzuraunen:
»Ich weiß nicht warum, aber es ist mir etwas bange wegen des Ausganges dieser fatalen Geschichte.
– Ei, bei Allah, Sie sind aber auch immer so furchtsam!« erwiderte Keraban.
In Erwartung des Wiedereintretens des Gerichtsdieners schwiegen Alle, nicht ohne die sehr natürliche Empfindung einer gewissen Neugier.
»Sie behaupten also, Richter, fragte der Seigneur Yanar, trotz der herrschenden Dunkelheit erkennen und herausfinden zu können…
– Ich?… O nein! antwortete der Richter. Das überlass’ ich einem höchst intelligenten Thiere, das mich bei derlei Untersuchungen schon wiederholt mit bestem Erfolge unterstützt hat.
– Einem Thiere? rief die Reisende erstaunt.
– Jawohl… einer Ziege… einem seinen, höchst pfiffigen Thiere, welches den Schuldigen, wenn er überhaupt noch hier ist, schon zu bezeichnen wissen wird. Uebrigens muß derselbe ja noch anwesend sein, da Niemand seit der Minute, wo das Attentat begangen wurde, die Karawanserai hat verlassen können.
– Er ist ein Narr, dieser Richter!« murmelte Keraban.
Eben jetzt erschien der Gerichtsdiener wieder und zerrte an den Hörnern eine Ziege, die er bis mitten in den Hof führte.
Es war die edle Sarabul. (S. 300.)
Es war ein hübsch gebautes Thier von der Gattung Aegagrus, in deren Eingeweide sich zuweilen eine steinige Concretion, der sogenannte Bezoar, vorfindet, der seiner vermeintlichen heilbringenden Eigenschaften wegen im Orient sehr hochgeschätzt wird.
Diese Ziege mit dem seinen Maule, dem lockigen Barte und dem intelligenten Aussehen, kurz mit ihrer »spirituellen Physiognomie« schien der ihr von dem Richter zugedachten Rolle als Prophet ganz gewachsen zu sein. In Kleinasien, Anatolien, Armenien und Persien trifft man ganze Heerden dieser Bezoarziegen. welche sich ebenso durch die Schärfe aller Sinne wie durch erstaunliche Beweglichkeit und Gewandtheit auszeichnen.
Der Gerichtsdiener erschien wieder und zerrte an den Hörnern eine Ziege herein. (S. 304.)
Die Ziege – deren Weisheit der Richter über die Maßen pries – war von mittlerer Größe, am Bauche, an
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