Keraban Der Starrkopf
Abschiedsgruß ihren Verlobten hätte erreichen können.
Nachdem der Wagen hinter einer Biegung der Straße am äußersten Abhang des hohen Ufers verschwunden war, verließen Amasia und Nedjeb die Gallerie und kehrten ins Innere der Wohnung zurück.
Vom Verdeck der Tartane aus sah Yarhud sie verschwinden und gab seinen Leuten, die eben Wache hatten, den Befehl, aufzupassen, ob sie etwa bei einbrechender Nacht wieder erschienen. Dann wollte er, da es ihm mit List nicht geglückt war, Gewalt anwenden.
Seit der Abreise Ahmets und mit dem glücklichen Umstand, daß die Hochzeit erst nach sechs Wochen stattfinden sollte, drängte es mit der Entführung des jungen Mädchens zwar nicht allzusehr. Dagegen mußte er auch die Geduld des Seigneur Saffar in Rechnung ziehen, dessen Rückkehr nach Trapezunt vielleicht nahe bevorstand. Bei der Unsicherheit der Schifffahrt auf dem Schwarzen Meere konnte ein gewöhnliches Segelschiff recht leicht eine Verzögerung von vierzehn bis zwanzig Tagen erleiden. Es war also nöthig, so bald als möglich in See zu gehen, wenn er noch zu der, in seiner Verhandlung mit Scarpante festgesetzten Zeit eintreffen sollte. Ohne Zweifel war Yarhud ein Schurke, aber ein Schurke, der seinen Verpflichtungen nachzukommen liebte. Deshalb entschloß er sich auch, ohne Zögern zu handeln.
Die Umstände begünstigten ihn ganz ausnehmend. Gegen Abend, noch ehe ihr Vater aus dem Bankgeschäfte heimgekommen war, betrat Amasia wieder die Gallerie. Dieses Mal war sie allein. Ehe es völlig dunkel wurde, wollte das junge Mädchen ihr Auge noch einmal über das ferne Panorama des Ufers schweifen lassen, das den Horizont im Norden abschloß. Dorthin drängte sie ja ihr ganzes Herz. Sie nahm also den Platz wieder ein, nach dem sie gewiß noch oft wiederkehren würde, stützte sich auf’s Geländer und blieb nachsinnend stehen, mit einem Blicke im Auge, der gleichsam in unendliche Ferne dringt und den nichts aufzuhalten vermag.
In ihre Gedanken versunken, bemerkte Amasia auch ein Boot nicht, das von der im Halbdunkel kaum noch sichtbaren »Guidare« abstieß. Sie sah nicht, wie es geräuschlos näher kam, längs der Terrassenstufen hinglitt und schweigend unter ihr hielt, wo das Wasser der Bai die Grenze des väterlichen Besitzthums umspülte.
Inzwischen war Yarhud mit vier Matrosen lautlos die Absätze emporgeschlichen.
Amasia blickte unverwandt nach der Küste hinaus. (S. 126.)
Vertieft in ihre Träumereien, hatte das junge Mädchen ihn nicht bemerkt.
Plötzlich sprang Yarhud auf sie zu und ergriff sie fest und so überraschend, daß ihr jede Gegenwehr abgeschnitten war.
»Zu Hilfe! Zu Hilfe!« konnte das unglückliche Kind allein noch rufen.
Ihr Angstschrei wurde sofort erstickt; Nedjeb, welche ihre Herrin suchte, hatte sie aber doch gehört.
Kaum trat die junge Zigeunerin in die Thür der Gallerie, als schon zwei Matrosen sich auf sie stürzten, um ihr alle Bewegungen und Hilferufe zu hemmen.
»An Bord!« befahl Yarhud.
Unwiderstehlich fortgeschleppt, wurden die beiden jungen Mädchen in das Boot gebracht, welches vom Lande stieß und nach der Tartane zuhielt. Die »Guidare«, deren Anker schon gelichtet und deren Segelwerk gehißt war, brauchte nur von den Tauen gelöst zu werden, um abzusegeln.
Das geschah denn auch, seitdem Amasia und Nedjeb an Bord in einer Cabine des Hintertheils eingeschlossen waren, wo sie nichts mehr sehen und sich nicht vernehmbar machen konnten.
Inzwischen neigte sich die Tartane, welche jetzt den Wind abfing, unter dem Drucke ihres Großsegels, um aus der kleinen Bucht zu laufen, welche die Ufermauern der Villa umschlossen.
So schnell aber auch dieser Handstreich ausgeführt worden war, hatte er doch die Aufmerksamkeit einiger, in dem Garten arbeitender Diener erregt.
Einer derselben vernahm auch den Hilferuf Amasias und schlug sofort Lärm.
»An Bord!« befahl Yarhud. (S. 128.)
Da kehrte auch der Banquier Selim nach seiner Wohnung zurück und erfuhr schnell, was eben vorgegangen war. Mit einer Angst, welche er kaum selbst zu fassen vermochte, sachte er nach seiner Tochter… seine Tochter war verschwunden.
Als er jedoch die Tartane manövriren sah, welche die äußerste Südspitze der kleinen Bucht zu umschiffen suchte, war Selim Alles klar. Er stürmte durch den Garten nach einer Spitze, an der die »Guidare« vorbeikommen mußte, um den letzten Uferfelsen auszuweichen.
»Elende! rief er. Man entführt meine Tochter! Meine Tochter! Amasia! Haltet
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