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Kerstin Gier 2

Kerstin Gier 2

Titel: Kerstin Gier 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mutter-Mafia und Friends
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und das war auch gut so. »Wollen weitergehen«, antwortete der Sohn bestimmt. Sie gingen weiter. Der Vater versuchte, den Sohn für Pilze an Baumstämmen zu interessieren, für Käfer, Wolken und rüttelnde Greifvögel, für alles, was an dem Weg zwischen den Äckern geboten wurde, aber der Kleine antwortete stereotyp mit »Schwein. Jetzt Schwein.« Als er schon wieder kurz davor war zu weinen, nahm der Vater ihn auf die Schultern und ging betont federnd weiter, wobei er ein Lied sang, »Im Frühtau zu Berge wir ziehen, fallera«. Das habe ich ja seit meiner Grundschulzeit nicht mehr gesungen, dachte er. Und ich weiß den Text immer noch. Keine Zeile Goethe parat, aber »Im Frühtau zu Berge wir ziehen, fallera«, ich sollte mich erschießen. Er sagte aber nichts, sondern sang immer weiter, überhaupt gab er sich große Mühe, ein fröhlicher Vater an einem besonders schönen Landmorgen zu sein. Wenn man mich jetzt fotografieren würde, dachte er, könnte man das glatt in einem dieser Landleben-Hochglanzmagazine abdrucken, mit einem sinnigen Untertitel wie etwa »Landpartie« oder »Vatertag«. Zumindest wenn ich zwischendurch einmal lächeln würde.
    *
     
    Er hatte die Koffer in das Haus getragen, eine junge Frau zeigte ihnen das Zimmer. Vielleicht war es die Tochter des Bauern. Er hätte es zwar gerne gewusst, fand es aber nicht angebracht, so etwas zu fragen, das hätte doch merkwürdig geklungen, so eine Frage. Hallo, sind sie die Bauerntochter? Sie sehen so aus? Als ob er begeistert gewesen wäre, wenn sie mit Ja geantwortet hätte, hurra, eine echte Bauerntochter, toll, darf ich Sie auch einmal anfassen? Er war hundemüde und fand seine eigenen Gedanken ziemlich schräg. Die junge Frau ging vor ihnen die Treppe zu ihrem Zimmer hoch, das nicht in den Neubauten war, sondern im ersten Stock des alten Hauptgebäudes. Sie war nicht gerade ländlich angezogen. Eigentlich sah sie mehr aus wie eine Hotelangestellte, keine Latzhose, kein Stroh im Haar, kein Mistgeruch. Ob man in irgendein Ibis-Hotel in der Vorstadt fährt oder auf einen Bauernhof, dachte er, diesen Typ Angestellte gibt es überall. Man hat doch irgendwie ein total falsches Bild von der Landbevölkerung im Kopf, dabei sehen die genau aus wie wir alle. Die Frau schloss ihnen das Zimmer auf und wünschte eine gute Nacht. Seine Frau wartete, bis die Hotelangestellte aus dem Zimmer war, und fragte dann, ob er die Frisur gesehen hätte, das wäre ja wohl nicht wahr, mit was die Mädchen vom Land heute noch auf dem Kopf herumlaufen würden. Provinz eben, das würde man ja auf den ersten Blick erkennen. »Du wolltest doch unbedingt auf den Bauernhof«, sagte er, »dann musst du dir eben auch die Provinz angucken. Inklusive Personal. Und nein, an der Frisur ist mir nichts aufgefallen.« Er hatte die Koffer im Zimmer verteilt, und sie hatten beide ein paar Sachen ausgepackt, die Zahnbürsten ins Bad gebracht und dann gemeinsam aus dem Fenster gesehen. Der Blick ging über eine Weide, die von Hecken gesäumt war, ein paar unförmige Schatten im Gras, vielleicht Schafe. Er legte versuchsweise einen Arm um sie. »Apropos Schaf«, sagte er, »eigentlich lieben wir uns ja. Oder?«
    »Ich denk drüber nach, wenn du eine neue Landkarte gekauft hast«, sagte sie, aber immerhin lehnte sie dabei den Kopf an seine Schulter. Der Sohn drängte sich zwischen sie und wollte auf den Arm, sie hoben ihn gemeinsam hoch und zeigten ihm die Weide und die Schattenschafe. Die Erwachsenen staunten über die Sterne, den Anblick von so viel klar leuchtenden Punkten waren sie aus der Stadt nicht gewohnt. Er erklärte dem Sohn, dass die Welt so aussähe, wenn es gar kein Licht gäbe, also auch keine Straßenlaterne und keine Reklame und so, er erklärte, dass der ganz helle Punkt die Venus sei und dass man aus den Zweigen der Bäume da ganz hinten Körbe machen könne. Der Sohn starte hinaus und fasste den Anblick vor dem Fenster mit einem gelangweilten »dunkel« zusammen und wollte dann lieber doch nicht mehr auf dem Arm sein, sondern über die Möbel klettern. Er hüpfte polternd von der Sessellehne auf den Tisch und wollte weiter zum Sofa, als seine Mutter ihn im Flug abfing und aufs Bett warf, wo sie den strampelnden Jungen lachend festhielt und dabei auszog.
    *
     
    Hinter der Kurve war kein Schweinestall und hinter der übernächsten auch nicht. Nur ein sich endlos weiterziehender Weg und immer mehr Felder. Der Vater schwitzte wie schon seit Jahren nicht mehr, und es kostete ihn

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