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Kerstin Gier 2

Kerstin Gier 2

Titel: Kerstin Gier 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mutter-Mafia und Friends
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auf jemanden warten. Jetzt, da sie ihn bemerkt hatte, starrte sie ihm ohne jede Regung entgegen. Ihm fiel wieder ein, dass er wahrscheinlich einigermaßen merkwürdig aussah, mit dem seltsamen Gang, dem freien Oberkörper und dem kleinen Kind auf den Schultern, das wie frisch verwundet aussah und wahrscheinlich noch Tränen im Gesicht hatte. Eine Frau in der Stadt hätte vielleicht sogar Angst vor ihm bekommen, wenn er so am frühen Morgen durch einen Park gewankt wäre. Diese Bäuerin hier sah einfach durch ihn durch. »Moin«, sagte er, als er nahe genug herangekommen war.
    *
     
    Er hatte seiner Frau am Abend dann noch spaßeshalber vorgeschlagen, sie auch aufs Bett zu werfen und auszuziehen, genauso wie sie eben gerade den Sohn, der sehr schnell eingeschlafen war und sie jetzt nicht mehr stören konnte. Sie hatte gesagt, es würde so ziemlich alles an ihm erklären, dass er das nur vorschlagen, aber nicht machen würde, und danach hatte er dann auch keine Lust mehr gehabt. Sie waren schweigend ins Bett gestiegen, hatten jeder noch ein paar Seiten gelesen und dann ziemlich schnell das Licht ausgemacht. Kein Gutenachtkuss, kein weiteres Wort, sie lagen beide nur da und hörten den ruhigen Atemzügen des Sohnes zu, der ab und zu im Schlaf leise stöhnte. Als seine Frau sich umdrehte, berührte ihre Hand seinen Arm und blieb so liegen. Er wusste nicht recht, ob es Absicht war oder nicht, er konnte auch an ihrem Atem nicht erkennen, ob sie schon eingeschlafen war oder nicht. Er beschloss, lieber nichts weiter zu machen, und drehte sich auf die andere Seite, wobei er gespannt lauschte, ob seine Frau irgendwie reagieren würde. Er hielt den Atem an, um besser hören zu können, aber da war nichts. Der Mond schien durchs Fenster, er sah schnelle Schatten vorbeifliegen. Fledermäuse, dachte er, die haben sogar Fledermäuse, extra für die Touristen. Wahrscheinlich werden die abgerichtet, vor den Fenstern der Gäste im Kreis zu fliegen. Bei diesem Gedanken schlief er ein.
    *
     
    »Moin«, sagte die Bäuerin, als er noch ein paar Schritte auf sie zugemacht hatte. »Ist das da der Schweinestall?«, fragte er und zeigte auf das Gebäude. »Jo«, sagte die Frau, nachdem sie sich umgedreht und das Haus genau betrachtet hatte, als wäre es eben gerade erst hinter ihr aus dem Boden gewachsen. Der Vater rätselte währenddessen über das Ding in der Schubkarre. Es war etwas ziemlich Großes, Unförmiges, eine Plane vielleicht oder ein Ballen oder, er ging noch etwas näher ran, Fleischteile. Er dachte noch, dass es ja etwas absurd sei, eine Schubkarre voller Fleischteile aus dem Schweinestall zu fahren, als hätte dort soeben eine Hausschlachtung stattgefunden, dann wurde ihm schlagartig klar, was da in der Schubkarre lag: ein Schwein. Ein ganzes Schwein. »Dootbleeven«, sagte die Bäuerin und zeigte auf die Schubkarre, »dat is dootbleeven. Dat schall sick de Doktor mol ankieken. Besser is dat.«
    Der Vater sah von oben auf den Schweinekopf, in die Augen des Tieres. Er dachte, gebrochene Augen, so sehen also gebrochene Augen aus. Ein Leben lang liest man nur davon, und dann versteht man es, wenn man ein totes Schwein sieht. Wie romantisch. Der Sohn auf seinen Schultern beugte sich gefährlich weit vor, um das tote Schwein besser sehen zu können, und da erst wurde dem Vater schlagartig klar, was er dem Kleinen hier eigentlich bot. Dem Kleinen, der sich seit Stunden, ach was, seit Tagen auf lustige Schweine freute, dem Kleinen, der sich wieder und wieder einen heimeligen Stall vorgestellt haben musste, in dem Familie Schwein vergnügt hauste, wie in all den Bilderbüchern, wie auf den handgemalten Schildern, die im Ort herumhingen und den Weg zum Bauernhof wiesen, wie in den Erzählungen von Mama und Papa. Der Kleine erwartete eine rosarote, heiter quiekende Versammlung von Wonnetierchen, mit Papa Schwein und Mama Schwein und Schweinebabys. Und was er wirklich bekam, war ein totes Schwein, das mit halboffenen Augen und einem seltsamen Grinsen der gebleckten Zähne aus einer Schubkarre heraus in den Himmel sah, an dem die Sonne jetzt schon recht hoch stand. Der Vater konnte förmlich fühlen, wie sich über seinem Kopf die Laune wieder ins Bodenlose drehte, er wusste, ohne hinzusehen, dass jetzt Tränen in die Augen des Kindes steigen würden und dass er gleich an einem leichten Zittern des Körpers seines Sohnes unweigerlich merken würde, wie er da oben vor Weinen geschüttelt werden würde, weil er an diesem strahlenden Morgen

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