Kerstin Gier 2
sie keine Zeitung zu lesen. Die Verbindung mit Robert machte sie jedenfalls nicht. »Diebstahl und Sachbeschädigung, Sie sind ja ein tolles Vorbild für Ihre Tochter. Da weiß man doch jetzt schon, was aus dem Kind wird. Außer Hartz IV wird sie im Leben nichts kennenlernen. Hartz IV und am besten mit sechzehn zum ersten Mal schwanger, Vater unbekannt.« Sie beugte sich runter und wandte sich direkt an Louise. »Hast du überhaupt einen Papa? Wo ist denn dein Papa?«, fragte sie mit zuckersüßer Stimme, und bevor ich eingreifen konnte, krähte das verängstigte Kind: »Ich weiß nicht, wo er ist!«
Triumphierend richtete sich die Frau wieder auf und grinste mich an. »Wusst ich’s doch.«
Und da war er mit einem Mal zurück, der Wolf. Mit schwankender Stimme zwar, er hatte sich wohl an der Schafswolle verschluckt, aber er meldete sich zu Wort.
»Erstens: Deiner stinkenden Drecksschleuder, mit der du die Umwelt verpestest und die übrigens im absoluten Halteverbot steht, ist nichts passiert. Nicht mal einen Kratzer hat sie abbekommen. Zweitens: Das mit dem Pulli war ein Missverständnis, nicht, dass es dich was angehen würde, das nur fürs Protokoll, weil meine Tochter zuhört. Drittens: Ich arbeite. Jeden verdammten Tag – entschuldige, Louise, die ganzen Schimpfwörter, die darfst du natürlich nicht sagen, da reden wir zu Hause drüber, ja? Halt dir mal die Ohren zu. Also, drittens: Ich arbeite jeden verdammten Tag, ich habe sogar zwei Scheißjobs, und das nicht, weil Louises Vater unbekannt ist, sondern weil er abgehauen ist. Er war genau so ein Typ wie dein Ehemann. Haufenweise Kohle, fette Villa, dicke Autos. Und dann ist er einfach abgehauen. Weißt du was? Ich wette, du hast nichts gelernt, keine Ausbildung, noch keinen Tag im Leben gearbeitet. Du lebst von der Kreditkarte, die vom Konto deines Mannes abbucht. Und wenn der eines Tages abhaut, dann stehst du ganz genauso da wie ich. Nur, damit das mal klar ist!«
Dann schnappte ich mir Louise und floh, so schnell ich konnte. Ich hatte viel zu viel Angst davor, sie könnte etwas erwidern wie: »Aber ich bin promovierte Medizinerin, leite ein Krankenhaus und verdiene doppelt so viel wie mein Mann.« Unwahrscheinlich, aber möglich. Also rannte ich schnell mit meiner Tochter nach Hause, steckte sie in ihr Zimmer, setzte mich immer noch zitternd vor Aufregung in die Küche und dachte nach. Herr Grenzmeier hatte ja Recht. So konnte es nicht weitergehen. Mir wäre es egal, aber für Louise musste ich etwas tun. Sie sollte weder Hartz IV bekommen noch zu so einer dummen, naiven Kuh heranwachsen wie ihre Mutter. Und zum ersten Mal, seit Robert mich hatte sitzen lassen, sah ich die Situation ganz klar vor mir:
- Robert hatte zweiundsechzig Millionen unterschlagen.
- Das Geld musste irgendwo sein.
- Er hat es bestimmt nicht in einem Köfferchen mitgenommen.
- Es war irgendwo geparkt.
- Robert war immer wieder nach Basel geflogen.
Meine Güte, war ich blöd. Die Verbindung hatte ich nie vorher gemacht: Schweizer Bankkonten klangen für mich nach Zürich, nicht nach Basel, zumal er immer was von Kunstausstellung gefaselt hatte, um dann mit Ausstellungskatalogen zurückzukommen. Er hatte mich vertröstet, das nächste Mal dürfte ich mit, aber dann war immer irgendwas … Na, jetzt wusste ich Bescheid. Kunstausstellung, haha. Würde mich ja interessieren, wie viel Kunst sie in so einer Bank ausstellten.
Jetzt brauchte ich nur noch die Daten für sein Nummernkonto und die Adresse der Bank. Und praktischerweise wusste ich auch genau, wo ich das finden würde. Es gab einen Ort, an dem Robert alles, was ihm wichtig war, aufhob. Er hatte mir einmal ganz am Anfang unserer Beziehung gesagt: »Die allerwichtigsten Papiere kopiere ich und hebe sie an einem sicheren Ort auf. Da können sie weder verbrennen noch gestohlen werden. Sie könnten allerhöchstens von einer Jahrtausendsturmflut weggespült werden.«
Ich erzählte Herrn Grenzmeier gleich morgens, dass ich eine alte, kranke Verwandte besuchen musste und dringend Geld für die Reise brauchte. »Ich zahl es Ihnen zurück«, sagte ich.
Er nickte und gab mir hundert Euro. Dann legte er noch einen Hunderter drauf. »Keine Sorge, ich verlange keine Zinsen«, sagte er.
Louise gab ich bei einer ihrer Kindergartenfreundinnen ab, mit deren Mutter ich mich ganz gut verstand. Auch ihr tischte ich die Geschichte mit der kranken Verwandten auf, und sie schluckte sie.
Dann trampte ich nach Ostfriesland, wartete auf die
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