Kerstin Gier 2
immer noch nicht los.«
Da hatte er Recht.
»Wieso fragen Sie eigentlich?«
Er zuckte die Schultern und trank seinen Kaffee aus. »Ach, keine Ahnung. Jetzt muss ich leider weiter. Wir sehen uns dann morgen? Immerhin haben Sie schon 1433 Euro und 22 Cent zurückgezahlt. Ich finde, wir sind auf einem guten Weg.«
Klar. Wenn das in dem Tempo weiterging, bräuchte ich nur noch ungefähr 83 Jahre, um meine Schulden zu begleichen. Der hat echt Humor, der Herr Grenzmeier.
Aber als ich nachts wieder nicht schlafen konnte, fiel mir ein, dass Herr Grenzmeier überhaupt gar keinen Humor hatte. Ich grübelte bis morgens um sechs, bis ich kapierte, was er mir durch die Blume – oder vielmehr über die Kaffeetasse hinweg – hatte sagen wollen: Irgendwo musste das unterschlagene Geld sein. Und von irgendwas musste Robert leben. Robert und diese dumme Kuh, die mit ihm durchgebrannt war. Robert musste das alles von langer Hand geplant haben, man unterschlägt ja nicht in einer Woche 62 Millionen, bekommt zufällig Wind davon, dass die Steuerfahndung zack, bumm hinter einem her ist und flieht dann Hals über Kopf. Nein, das musste alles eine lang geplante Sache gewesen sein. Auch, dass er mich hereingezogen hatte, gehörte sicher zu seinem Plan. Herr Grenzmeier, der lange nicht so naiv war, wie er aussah – und schon dreimal nicht so naiv war wie ich, hatte das längst durchschaut und mir sagen wollen: Finden Sie das Schwarzgeld von Ihrem Mann. Schnappen Sie es sich. Und dann sehen wir weiter.
Das klang alles gut in der Theorie, aber die Praxis sah ganz anders aus. Natürlich hatte ich keinen Schimmer, wo Robert das Geld geparkt haben könnte. Ich war ehrlich gesagt nicht einmal in der Lage zu durchschauen, was sich auf einem normalen Girokonto so alles abspielte. Ich hatte mich ja nie um etwas kümmern müssen. Hinzu kam, dass ich von Grund auf eine ehrliche Haut war und dass ich von meinen Mitmenschen dasselbe erwartete. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, Robert könnte mich anlügen. Oder betrügen. Oder mich Dinge unterschreiben lassen, die mich in Schwierigkeiten bringen konnten. Wenn ich herausfände, wo sein Geld war, würde ich es der Steuerfahndung sagen, und dann würden sie mir vielleicht auch ein paar Schulden erlassen, aus Dankbarkeit oder so. Ja, das musste Herr Grenzmeier gemeint haben, als er mich nach dem Geld gefragt hatte.
Als ich am nächsten Morgen mit ihm darüber sprach, schüttelte er jedoch nur den Kopf. »Davon sind Sie Ihre Schulden nicht los.«
»Wieso nicht? Wenn ich seine 62 Millionen, oder wie viel Geld es auch sein wird, finde, kann ich doch mit einem Teil meine Schulden begleichen. Ich bin immer noch mit ihm verheiratet, also gehört das Geld doch auch mir. Oder nicht?«
»Schwarzgeld?« Er schüttelte immer noch den Kopf. »Aber vielleicht haben Sie ja Recht, und man erlässt Ihnen wirklich Ihre Schulden.« Er klang nicht sehr überzeugt.
»Es gibt wohl keine legale Möglichkeit, in kurzer Zeit viel Geld aufzutreiben«, seufzte ich. »Dann muss ich wohl wirklich die nächsten 83 Jahre mein Geld an Sie abgeben.«
Er grinste ein bisschen schief. »Ich geh ja bald in Rente.«
»Haben Sie’s gut. Ich bin noch nicht mal 30.«
»Da können die 83 Jahre schon lang werden, mit nicht mal 30.«
»Ach, dafür kann ich dann so richtig einen draufmachen, wenn ich meinen 110. Geburtstag feiere.«
Ich suchte weiter nach Jobs, bekam aber nur eine halbe Stelle bei einer Kaffeekette. Und Bedienen war nie wirklich mein Lebensziel gewesen. Zumal ich darin wirklich schlecht war. Hinter der Theke stehen, okay. Aber bedienen? Ich konnte mir merken, was die Leute bestellten, aber Tabletts jonglieren war nicht wirklich meine Stärke. Meine Chefin ließ mich bald zartfühlend wissen, dass die Unkosten, die ich durch zerschlagenes Geschirr produzierte, so langsam über meinem Gehalt lagen. Irgendwann würde ich also nicht einmal mehr als Kellnerin jobben können.
»Welchen Beruf hätten Sie denn gerne, wenn Sie es sich aussuchen könnten?«, fragte mich Herr Grenzmeier.
Darüber hatte ich mir ehrlich gesagt noch keine Gedanken gemacht. Wenn ich es mir aussuchen könnte? Wenn Ausbildung und Qualifikation keine Rollen spielten? Ich glaube, dann würde ich ein Malatelier eröffnen. Nicht so eines mit Malkursen wie in der Volkshochschule, und auch keine Malschule. Nein, etwas, das offen ist für alle, wo Künstler unterkriechen können, die sich kein eigenes Atelier leisten können. Wo Kinder malen können,
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