Kerstin Gier 2
dich, wir haben Frühstück besorgt. Tina holt noch Besteck, dann plaudern wir miteinander, ja?«
Hallo! Es geschehen noch Zeichen und Wunder, wer sagt’s denn. Beide machen sich in der Küche zu schaffen. Gänzlich entspannt und mit den Früchten meiner Erziehung sehr zufrieden nehme ich Platz, schiebe Bordo unter meinen Stuhl und warte.
07:35 Uhr
»Sorry Mam, es hat ein bisschen gedauert.«
Sanne lässt eine neue Butterpackung und die gefüllten Bäckertüten auf die Tischplatte fallen.
»O.k., los geht’s!« Tina nickt Sanne rhythmisch zu, dann ertönt das Standardlied für alle Jubilare Ü3:
»Heute kann es regnen, stürmen oder schnei’n, denn du strahlst ja selber wie der Sonnenschein. Heut ist dein Geburtstag, darum feiern wir, alle deine Freunde freuen sich mit dir …
Wie schön, dass du geboren bist, wir hätten dich sonst sehr vermisst …«
Auf Bordo scheint sich die Tonfolge irgendwie krampflösend auszuwirken, er furzt zum Refrain wie Conan der Barbar.
»Danke Kinder, ich bin gerührt!«
»You’re welcome«, meint Tochter eins, reißt die gelbe Tüte auf und entnimmt dieser ein steinschweres Vollwertbrötchen, dessen bleiche Riesenkörner nach Leber und Tran schmecken. Ich hasse das.
Tochter zwei tranchiert eine Ananas in großzügige Stücke. Ananas kann ich auf nüchternen Magen überhaupt nicht ab, echt. Das weiß sogar Bordo.
Beiden Kindern schmeckt es vorzüglich.
Vor mir stehen: ein leerer Teller, eine leere Schüssel und zwei zugeschraubte Marmeladengläser. Ich lächle milde und blicke mit gefalteten Händen auf das Szenario.
Der Hang zu egozentrischer Zerstreutheit kam nicht von ungefähr. Im Stillen vergleiche ich sie mit Arno. (Was wohl charakterlich dabei herausgekommen wäre, wenn mein Exfreund Harald Bauer ihr Vater geworden wäre? Ach was, wahrscheinlich war der unfruchtbar, und ich säße jetzt ganz ohne Familie da. Und dann hätte ich praktisch gar keinen Grund, mich aufzuregen, und stürbe womöglich vor Langeweile.)
Zehn Minuten später frage ich nach Toast und Ei. Es ist mein erklärtes Lieblingsfrühstück. Mittelgroße Betroffenheit. Daaaas war ihnen doch glatt entfallen!
Nein, die naheliegende Vermutung ist nicht richtig! Ich habe mir sogar sehr große Mühe bei der Kinderaufzucht gegeben! Habe immer alles geboten, habe gefördert, gefordert, ausgehalten, mich mit Arno angelegt, gelobt, geliebt, bestochen, geflucht und mich in den Schrank gesetzt, um in Pubertätsheftchen zu recherchieren.
Das hier ist nur ein kleiner Aussetzer, es wird schon. Wir Mütter arbeiten nun einmal nicht für die Gegenwart. Nennenswerte Ergebnisse lassen sich oft erst nach dreißig Jahren ablesen. Und bis dahin möchte ich mir kein vorschnelles Urteil anmaßen.
»Ist schon gut, Mädels. Kann ja vorkommen … Dann werde ich jetzt mal. Heute steht noch ein Termin an, ich habe um zehn eine Besprechung mit Frau Raps, Paulchens Kindergartenleitung, und Frau Melle von der Bienchengruppe.«
In diesem Moment klatscht sich Sanne mit der flachen Hand vor die Stirn. »Mensch, Mam! Zwei!«
»Wie, zwei? Was meinst du?«
»Du hast zwei Termine! Ich hab ja völlig vergessen, dich bei Wühlmann abzumelden, der rechnet heute fest mit dir zum Ende der vierten Stunde. Wegen der letzten Lateinarbeit. Einfach an der Pforte läuten, er wird dann heruntergerufen ins Sprechzimmer. Also tschüss, wir müssen los.«
Kind eins und zwei verlassen hastig das Schlachtfeld. Sie merken genau, wenn sich etwas ganz gehörig zusammenbraut.
Wenn die von der Schule kommen, werde ich sie mir vorknöpfen.
So ein elender Mist. Zwei Termine und noch dazu am Vormittag. Ich kann Paulchen unmöglich mitnehmen, der ist viel zu marode.
Es hilft alles nichts, Mutter muss herhalten.
Ich werde sie besser gleich anrufen und aus ihrer Bude scheuchen, damit sie rechtzeitig hier sein kann.
Tut-tut , besetzt. Das ist ja wieder typisch. Meine Mutter lebt in Symbiose mit ihrem pinkfarbenen Headset, das sie sich aus Amerika schicken lassen hat. Seitdem schwatzt sie ununterbrochen mit sämtlichen Freunden aus dem Boccia-Club. Ich hoffe, sie schleudert nicht schon irgendwelche Kugeln über den Rasen.
Jetzt, Freizeichen, Gott sei Dank.
»Isolde Wünsch, ja bitte, guten Tag?«, spricht sie mit verführerischer Stimme in den Lautsprecher.
»Hi, ich bin’s. Ich bräu …«
»Wer spricht bitte?«
»Mutter, du kannst völlig normal reden, ich bin’s, Christine-Nine.« (Wie ich diese blödsinnige Namensverschleifung
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