Kerstin Gier 2
hasse).
»Nine, mein Schätzchen. Guten Morgen. Was für eine Überraschung!«
»Wieso Überraschung? Wir telefonieren seit Jahren miteinander, erinnerst du dich? Nine. Deine Tochter, die in der Parallelstraße wohnt und heute 32 wird?«
»Huuich!«, gluckste sie. »Das hätte ich beinahe vergessen! Bei mir steht heute nämlich Valentin Berger vom Stammtisch im Kalender, entschuldige bitte. Sag, wann steigt die Party? Ich werde selbstverständlich Kuchen mitbringen.«
»In genau einer halben Stunde, Mutter. Es wäre schön, wenn du pünktlich sein könntest, und du musst auch keinen Kuchen besorgen.«
»Nine, schau doch auf die Uhr – wir haben 8.45 Uhr, wer feiert denn um diese Tageszeit?«
»Wir, Mutter. Es ist auch mehr ein Zweimannfest. Nur du und Paulchen. Er ist nämlich krank, und ich muss zu zwei wichtigen Terminen. Kann ich mich auf dich verlassen?«
Mutter überlegt gründlich.
»Also gut. Dann werd ich eben jetzt schon meine Quarkmaske auflegen und zusehen, dass ich vorankomme.«
»Mutter. Tu mir einen Gefallen: Wenn du jetzt die Quarkmaske sausen lässt und gleich losläufst, gilt das bereits als Geburtstagsgeschenk. Damit machst du mir die größte Freude.«
Pause.
»Ich bin schon unterwegs.« Klack. Sie hat verstanden und aufgelegt.
Prima. Es klappt. Streiche mir ein Brot und räume noch den Frühstückstisch ab, bis sie kommt.
8:53 Uhr
Es läutet.
Wow! Mutter muss sich ja mächtig beeilt haben.
Bordo wackelt neugierig zur Tür, bellt aber nicht. Komisch. Normalerweise wird er schon hysterisch, wenn sie sich nur unserem Grundstück nähert.
»Bordo, die Oma kommt, geh zur Seite.« Ich schieb ihn ein Stück nach links, um die Türe öffnen zu können.
»Hallo Mutter, du bist heute ja von der ganz schnellen Truppe!«, ich quetsche mich am Viech vorbei und luge um die Ecke.
»Das kann man von Ihnen aber auch behaupten«, sagt da eine dunkle Männerstimme. Der dazugehörige Homo erectus steckt in Uniform und trägt eine Waffe im Halfter.
Huch. Wir sind doch nicht im Wilden Westen.
»Hände hoch und Hilfe«, sag ich lapidar, nachdem ich meinen ersten Schreck überwunden habe. »Worum geht es denn um Himmels willen?«
»Frau Christine Sperling?«, fragt er ernsthaft.
»Ja, das bin ich selbst.«
»Sie wurden im Amagasaki-Tunnel geblitzt. Ich bringe hier den Anhörungsbogen mit Foto, um Ihre Identität zu ermitteln.«
»Das passt aber ganz schlecht. Ich habe einen Termin im Kindergarten!«
»Keine Sorge, es dauert nur zwei Minuten, dann ist die Sache erledigt.«
Er zückt eine Aktenmappe und zieht einen Bogen Papier raus.
»Hier ist das Bild, wollen mal sehen!«
Der Wachtmeister stiert mit Kennermiene in mein Gesicht – und stutzt. Nicht sehr, aber doch. Ich merke so etwas gleich.
»Was ist denn los?«
»Also ich weiß nicht, hier sehen Sie mal.«
Mit diesen Worten hält er mir ein Schwarzweiß-Portrait unter die Nase. Mir fällt spontan nichts dazu ein.
»Das soll ich sein?«, frage ich dann. Ich stehe nahezu unter Schock. Wenn das tatsächlich ich sein sollte, muss ich eine ausgesprochene Frühgeburt gewesen sein. Schätze, man hat sich da locker um ein, zwei Jahrzehnte vertan.
»Hören Sie, ich habe zufällig heute Geburtstag. Wenn ich das wäre, würde ich heute nicht 32, sondern mindestens 52! Oder sehen Sie das anders?«
»Tja, ich bin auch etwas verunsichert, muss ich gestehen.«
Bordo scheint ähnlicher Meinung zu sein und beginnt heiser zu bellen.
»Hallo Süßer«, ertönt da Mutters Telefonstimme hinter der Hecke. »Ich bin’s, Mutti!«
Bordo rammt sich durch die halboffene Tür und schmeißt sich gegen Mutters Brust.
»Oh, ein Herr Kommissar!«, flötet sie erfreut, als sie den Polizeibeamten erblickt.
»Hat meine Tochter was Schlimmes angestellt? Das wäre nicht verwunderlich, wissen Sie. Christine-Nine ist einfach ein Tollpatsch und der Nagel zu meinem Sarg. Ich habe mich mittlerweile damit abgefunden. Um welche Kautionssumme handelt es sich denn?«
»Mutter!«, kreische ich und erdolche sie mit Blicken.
»Ich gehe nicht in den Knast, sondern bin lediglich mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren. Dabei wurde ich geblitzt, und der Herr hier prüft nach, ob ich es bin.«
»Aha. Lassen Sie mich mal sehen«, sagt sie und rupft dem Polizisten die Unterlagen aus der Hand.
Sie starrt auf das Foto, führt es näher an ihr Gesicht und schüttelt den Kopf.
»Grundgütiger, Kind. Du siehst miserabel darauf aus!«
Dann wendet sie sich an den Polizisten.
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