Kerstin Gier 2
fand ich so gut, dass ich ihn mir notiert habe.
Sybille (die so was Anspruchsloses natürlich sonst auch nicht liest, aber für euch gern eine Ausnahme macht)
Steffi von Wolff
Perlen-Paulas
Im Jahr 2002 bin ich nach Hamburg gezogen. Ich kam aus einer mittelhessischen Kleinstadt, beziehungsweise aus einem Stadtteil dieser Kleinstadt, der ungefähr 700 Einwohner hat. Hier lief das Leben beschaulich ab: Man kannte sich untereinander, man wusste, wer eine Wurzelbehandlung vor sich hatte oder seinen Mann betrog, man wusste, was die Enkelkinder zum fünften Geburtstag bekamen und wer woran gestorben war und was hinterlassen wurde oder auch nicht. Man traf sich vor oder im kleinen Edeka-Markt und hielt ein Schwätzchen, und samstags wurde die Straße gekehrt. Für mich war das dörfliche Leben eine Abwechslung zu Frankfurt, wo ich jeden Tag arbeitete. Natürlich wurde auch gelästert, es gab missgünstige Menschen, und es wurde genau beobachtet, was man so einkaufte. Nachdem ich von der Kassiererin im Edeka mal gefragt wurde, warum ich schon wieder Tampons bräuchte, ich hätte doch erst letztens meine Tage gehabt, beschloss ich, dort nur noch unverfängliche Grundnahrungsmittel einzukaufen und alles andere in der Stadt.
Ja, so war das Dorfleben.
Dann zog ich in die Großstadt Hamburg und dachte, jetzt wird alles anders.
Ich war euphorisch und habe nicht weiter nachgedacht.
Hätte ich aber mal tun sollen.
Wolfgang Joop hat vor gar nicht allzu langer Zeit Folgendes gesagt: »Die wohlhabende Hamburgerin (…) ist ja eine gelungene Mischung aus Pferd und Frau. Ich habe sie kürzlich wieder gesehen, im Ralph-Lauren-Store: Das mehr oder weniger dünne Blondhaar mit einem Tuch zusammengefummelt, frische Gesichtsfarbe, wenig Make-up, viel Zahnfleisch. Dazu eine Steppjacke, Möhrenjeans, Hermès-Gürtel, Lui-Vui-Tasche und Wildlederballerinas von Tod’s.«
Er hat etwas vergessen: Die wohlhabende Hamburgerin, die ja auch im Stadtteil Eppendorf wohnt, da, wo ich fortan wohnte, obwohl ich nicht wohlhabend bin, hat grundsätzlich schlechte Laune, verbringt einen Großteil ihrer Zeit damit, Fahrradwege mit überdimensionalen Kinderwagen zu blockieren und hält Essen für eine ansteckende Krankheit. Die Eppendorferin, von mir nach kurzer Zeit Ehenutte oder, was eine Freundin erfunden hat, die auch hier wohnt, Perlen-Paula genannt, hat weder Benehmen, noch hat sie jemals etwas von den Worten Rücksicht, Freundlichkeit oder Gelassenheit gehört. Ein weiteres Erkennungsmerkmal: Sie sieht im neunten Monat schwanger genauso aus wie nicht schwanger, und nach der Entbindung ist sie noch dünner als jemals zuvor.
Dass ich nicht nach Eppendorf passe, hatte ich gemerkt, als ich zum ersten Mal einkaufen ging. Ich fiel schon allein wegen meiner Figur unangenehm auf. Es ist nämlich so, dass ich bei einer Größe von einem Meter neunundsechzig eben nicht zweiundvierzig Kilo wiege und Bulimie als erstrebenswertes Hobby erachte.
Ich esse gern. Und es stimmt einfach, was ein Koch aus Mannheim im Skiurlaub mal zu mir sagte: »Fett ist ein Geschmacksträger.«
Aber wenn man einmal in Eppendorf im Supermarkt an der Fleischtheke gestanden und zwei Kilo Hackfleisch geordert hat, ist das das erste und letzte Mal. Man wird von den ganzen dünnen Frauen und ihren Kindern angesehen wie eine Außerirdische, die aus Versehen von E . T . hier vergessen wurde.
Dass Blicke töten können, habe ich in Eppendorf gelernt.
Vor mir befanden sich zwei Frauen, die jeweils ein halbes Hähnchenbrustfilet (»Das genügt doch für vier Personen?«) und 250 Gramm Kalbsschnitzel (»Heute gönne ich mir und meiner Großfamilie mal was, das ist aber eine Ausnahme!«) orderten. Ich beschloss, erst noch jemanden vorzulassen in der Hoffnung, man würde zwanzig Bratwürste oder ein halbes Schwein verlangen. Ich hatte ja auch gar nicht vor, die zwei Kilo Hack alleine und auf einmal zu essen.
Als ich dran war, sagte ich: »Ich friere das portionsweise ein, da hat man immer was im Haus für Bolognese oder Chili con Carne.«
»Mhm«, machte der Schlachter und knallte die riesige Hackfleischmenge auf die Waage. Es sah zugegebenermaßen nach viel Fleisch aus.
Hinter mir räusperten sich die Frauen. Peinlich berührt. Mir kam es so vor, als würden sie es als Zumutung für ihre Augen empfinden, so viel rotes Fleisch auf einmal zu sehen.
»Mama, isst die Frau das ganze Fleisch?«, fragte eine dünne, etwa zwölfjährige Tochter ihre dünne Mutter. Die beiden packten
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