Kerstin Gier 2
sonniger Tag, und man saß draußen. Natürlich wurden die Einkaufstüten so drapiert, dass jeder Vorbeilaufende sehen konnte, was Frau Ehenutte heute schon wieder eingekauft hatte. Sie saßen da mit ihren großen Sonnenbrillen, tranken Champagner (der Eiskübel wurde selbstredend ebenfalls so platziert, dass man die Champagnermarke auch ja gut erkennen konnte) und fanden das Leben so schrecklich, dass sie sich eben mal kurz davon ausruhen mussten. Die Kinder saßen wie aus dem Ei gepellt neben ihnen und tranken irgendein sauteures Getränk, das gerade total in war.
»Ist aber nett hier geworden«, sagte die eine, die ein enganliegendes Oberteil in Rot trug, darüber eine mit Sicherheit echte Kette, an der Rubine hingen.
»Ja, ja, das ist aber auch wirklich nett, dass die Cornelia Poletto dem Remigio nach der Trennung erlaubt hat, den Nachnamen für seine eigene Bar zu verwenden.«
»Ja, das ist toll«, sagte die Rote, und dann schrie sie: »Ciao! Remigio, Remigio!«, und Remigio, geborener Poletto, schrie natürlich »Ciao!« zurück, was die beiden champagnertrinkenden Weiber als Kompliment ansahen. Wahrscheinlich fühlten sie sich so, wie man sich eben fühlte, wenn man jemanden kannte, der halbwegs prominent war. Bestimmt fühlte man sich – einen niedrigen IQ vorausgesetzt – dann auch ansatzweise prominent.
»Eigentlich sieht er eher aus wie ein Italiener«, meinte Dumpfbacke Nummer eins und nippte an ihrem Glas. »Und die Cornelia Poletto sieht eher deutsch aus.«
»Vielleicht hat sie sich operieren lassen«, sagte Hohlbratze Nummer zwei. »Und Haare kann man ja auch färben.«
»Stimmt. Aber die arme Tochter von der Cornelia Poletto. Die Mutter muss den ganzen Tag und auch am Abend arbeiten. Die sieht ihre Mutter doch kaum. Das ist doch kein Leben für ein kleines Kind.«
»Nein, schrecklich. Als Mutter hat man Arbeit genug.«
Am liebsten wäre ich hingegangen und hätte gesagt: »Wenn ich Cornelia Poletto mit euch vergleiche, muss ich ganz ehrlich sagen, dass sie hübscher und viel zufriedener und ausgeglichener aussieht als ihr dämlichen Schnepfen.«
Aber da wurde die Fußgängerampel grün.
Ich beschloss, fortan ein kleines Notizbuch bei mir zu führen, weil ich dachte: Vielleicht kann ich das ja mal für irgendeine Geschichte verwenden. Eine Zeit lang dachte ich auch, dass ich gestört sei, weil ich so »normal« war. Aber dann lernte ich einen Therapeuten kennen, der in Eppendorf praktizierte. Nach Gesprächen mit ihm wusste ich, dass ich weit davon entfernt war, unnormal zu sein. Ich war so dankbar, dass ich ihn hätte heiraten können, wenn ich es nicht schon getan hätte.
»Diese Frauen haben Probleme, weil sie keine haben«, wurde mir erklärt.
»Wie soll das gehen?«, fragte ich. Wir saßen in der Glocke , einer ausnahmsweise nicht überkandidelten Raucherkneipe, in der es Schnitzel mit Bratkartoffeln gab und nicht so was Dämliches wie frittierte Kalbsleber an Rote-Beete-Jus mit Trüffeln und einer komplizierten Sherrysoße für 49,90. In der Glocke fühlt man sich wie auf einer Berghütte, und das ist auch gut so.
»Na ja«, sagte der Therapeut. »Sieh es doch mal so: Du hast immer genug Geld, du musst nicht darüber nachdenken, ob du dir diese Schuhe da für 749 Euro kaufen kannst, sondern tust es einfach. Deine Kinder tragen Baby-Dior-Sachen, die Putzfrau kommt jeden Tag und dann noch einmal in der Woche ein Fensterputzdienst, der auch gleich noch die Kronleuchter mitreinigt.«
Ein Fensterputzdienst! Ich bestellte neues Bier.
»Ich hatte mal eine Patientin, die ist während einer Sitzung bei mir komplett zusammengebrochen.«
»War jemand gestorben?«, fragte ich neugierig.
»Nein. Das Lederarmband ihrer Chopard-Uhr hatte die falsche Farbe. Sie hatte die Uhr von ihrem Mann zum Geburtstag bekommen und dachte dann, er würde sie überhaupt nicht gut kennen, denn dann wüsste er ja, dass das Band nicht braun, sondern dunkelgrün hätte sein sollen. Anstatt sich einfach ein neues Band zu kaufen, hat sie mir lieber sechshundert Euro auf den Tisch gelegt.«
»Hast du ihr das nicht gesagt?«, fragte ich verwirrt.
»Nein«, sagte er. »Ich bin doch nicht bescheuert.«
»Eigentlich sind die ganz schön arm dran«, sagte ich dann.
»Klar. Damit verdiene ich ja mein Geld. Ich könnte dir Geschichten erzählen …«
»Erzähl sie mir!«
Am nächsten Tag ging ich zu einem gewissen Supermarkt und stellte mich vor den Eingang, um zu überprüfen, ob der Therapeut die Wahrheit erzählt
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