Kerstin Gier 2
vernahm ich da Arnos raunende Stimme.
» Ich bin dein Wühlmannn, Schätzchen! Bleib völlig gelassen. Ich werde am Montag wieder im Lande sein, und dann wühl ich dich so lange, bis du lateinische Mantras stöhnst.«
Ich halte das Handy weiter weg und schaue in die Lautsprecheröffnung.
»Sag mal, du bist nicht zufällig sturzbetrunken? Es ist helllichter Vormittag! Und wieso erst übermorgen? Du wolltest doch morgen zurückkehren? Aaarno?«
»Ihrar Verbindung wird gechaltan«, sagt eine schnöde Automatenstimme aus dem Hörer. Entnervt lege ich auf.
Was für ein Scheiß-Geburtstag. Werde den Tag schwarz kennzeichnen.
11:21 Uhr
»Schön, dass Sie kommen konnten«, spricht Dr. Wühlmann zur Begrüßung und geleitet mich zur Sitzgruppe ins Konferenzzimmer.
»Das ist doch selbstverständlich, ich hatte längst schon geplant, einen Termin mit Ihnen zu vereinbaren«, erwidere ich. »Weshalb war es Ihnen denn wichtig, mich zu sprechen?«
Er wühlt in einem Haufen loser Zettel. (Der Name passt wie die Faust aufs Auge …)
»Ah, da ist er ja. Also Frau Sperling, es ist mir nicht sehr angenehm, aber ich bin verpflichtet, Ihnen Mitteilung zu machen, wenn die Leistungen Ihres Kindes stärkeren Schwankungen unterliegen.«
»Das weiß ich, Dr. Wühlmann. Bitte reden Sie ohne Umschweife, ich habe noch zwei weitere Kinder. Kleine Unregelmäßigkeiten sind Standard und werfen mich nicht aus der Bahn.«
Wühlmann sieht mich leicht befremdet an.
»So klein sind die Unregelmäßigkeiten nun auch wieder nicht. Ich vermute eher, dass Ihre Tochter Sanne an die Grenze ihrer sprachlichen Möglichkeiten gestoßen ist. Man braucht nur einmal diesen Auszug aus ihrer letzten Übersetzung betrachten, ich zitiere:
Der Wurf umzingelt wegen großer Flut und Reichtum in allen Alpen die Sklaven aus dem Hinterhalt.«
»Aha«, sage ich, um Zeit zu gewinnen, und lasse einen historisch abwägenden Blick in die Ferne gleiten.
»Auf Anhieb erschließt sich auch für mich der Sinn des Satzes nicht ganz. Aber irgendetwas wird sie sich schon dabei gedacht haben.«
Ich lege eine Kunstpause ein, tue so, als ob ich mit den Fingern nachrechne, dann frage ich: »Wie viele Sklaven befanden sich denn zum Entstehungszeitpunkt des Textes in den Alpen?«
Durch Dr. Wühlmann geht ein Ruck. Seine gequälte Miene spricht Bände. Ich denke, er überlegt sich das Ganze noch mal.
Ich meine, welches junge Mädchen hat denn Lust, sich mit einem Duzend toter Dichter herumzuschlagen, nur weil deren Manuskripte nicht dem Brand von Troja zum Opfer gefallen sind? Da muss man als Pädagoge einfach die Kirche im Dorf lassen und auch einmal ein Auge zudrücken können, finde ich.
Schließlich einigen wir uns darauf, dass ich den Termin unseres Gesprächs gegenzeichne und dafür sorge, dass Sanne ihre Vokabelkenntnisse auf den neuesten Stand bringt.
Als geschlagene Frau verlasse ich das Schulhaus.
Bin fix und fertig. Habe seit heute Nacht keine ruhige Minute mehr gehabt. Dabei hatte ich mich so auf heute gefreut. Sektfrühstück sollte es geben mit den drei liebsten meiner »Damen« vom Mütterstammtisch auf unserer Terrasse.
Aber ich musste natürlich allen absagen. Habe nachts eine Rundmail abgeschickt mit dem Wortlaut: »Sorry Mädels, Paul kotzt, Geburtstagssekt fällt aus, verschoben auf???
Bitte um Vorschläge, Nine«
11:59 Uhr
Stehe herum und hadere mit meinem Schicksal.
Rufe am besten kurz Arno zurück. Der soll ruhig wissen, was mir hier zugemutet wird.
Die Frau am anderen Ende sagt, dass ihr diese Rufnummer nicht bekannt ist. Ich glaub, ich spinne.
12:12 Uhr Schnapszahl!
Wenn das kein Zeichen ist!
Gehe noch einmal ins Café Kanapé. Doch diesmal verzichte ich auf Ausgleichstee und bestelle einen Hugo .
Das Leben ist hart.
12:17 Uhr
Bestelle noch einen Hugo.
Das Leben ist nun mal so.
12:26 Uhr Prost!
Nehme zur Abwechslung mal ’nen Mojito.
Gott prüft diejenigen, die er liebt, das ist eine alte Binsenweisheit.
12:31 Uhr
»Könnhe ih bitte noch eihen Huugo haben?«, ordere ich gedehnt beim Cocktailmixer, woraufhin mir jemand eine Hand auf die Schulter legt.
Ich dreh mich rum.
»Hugo oder Harry?«, fragt er und strahlt mich an.
»Harals Bauer!«, lalle ich und falle ihm vor Freude um den Hals. »Dih hap ich ja seit der Schuhle nich mehr gssehn! Harals, ich habhe heute Geburtstag.«
»Wirklich? Na so ein Zufall!«, freut er sich.
»Lass uns auf das Wiedersehen anstoßen, Nine! Findet denn gar keine Party statt?«
Ich blinzele zu
Weitere Kostenlose Bücher