Kerstin Gier 2
mal werden?« Ich stand gemeinsam mit einer freudlosen Mutter und ihren Zwillingstöchtern vor einer Eppendorfer Buchhandlung.
»Prinzessin Lillifee«, sagte das erste Töchterchen, das so ungefähr acht war.
»Aber das ist doch kein Beruf«, kommentierte ich ihre Aussage freundlich.
»Doch.«
»Weißt du denn, was ein Beruf ist?« Ich ließ nicht locker.
Sie glotzte mich an. »Ein Label?« Sie war, wie gesagt, ungefähr acht Jahre alt.
Die Mutter sagte: »Nein, Stella, das ist das, das Papa macht.«
»Was macht Papa?«
»Er hat einen Beruf «, die Mutter sah mich stolz an. Fast hätte ich ihr auf die Schulter geklopft und ihr gratuliert, weil sie wusste, was das Wort Beruf bedeutete.
»Papa geht doch jeden Tag in seine doofe, doofe Werbeagentur, wo er mit ganz vielen armen, armen Leuten ganz, ganz viele blöde Stunden verbringen muss.«
»Papa ist doof.«
»Sag ich doch. Und Papa hat nie Zeit für seine kleinen Schätzchen, weil Papa einen doofen, doofen Beruf hat.«
»Hat der doofe Beruf vom Papa dafür gesorgt, dass du eine TAG -Heuer-Uhr tragen kannst?«, fragte ich so freundlich, dass ich fast kotzte.
»Ich hab ’ne Rolex.« Stolz hielt mir Zwilling Nummer zwei die Uhr hin. »Hab ich für eine Vier in Deutsch bekommen.«
»Für eine Vier?« Ich glaubte es nicht. »Das ist doch keine gute Note.«
»Die Lehrerin meinte, über eine Vier müssten wir sehr glücklich sein«, informierte mich die stolze Mutter, die so aussah, als könnte sie nicht mal bis drei zählen.
»Mama, wann krieg ich eigentlich Louboutins?«, fragte Zwilling Nummer eins.
»Sobald du noch eine Vier schreibst.«
»Und wenn ich eine Fünf schreibe?«
»Dann kriegst du auch noch den schicken Koffer von Louis Vuitton.«
»Und bei einer Sechs noch den passenden Gürtel«, jubelte der Zwilling und warf die Papiertüte mit einem süßen Teilchen drin in die Buchhandlung, um hinterherzurennen und darauf herumzutrampeln.
»Sie ist so ein lebhaftes Kind«, strahlte die blöde Mutter, während sie ihrer anderen Tochter zusah, die gerade Seiten aus einem Bildband riss, der auf einem der Büchertische vor der Buchhandlung lag. Dann zerknüllte sie die Seiten und ließ sie auf den Boden fallen.
»Sie weiß genau, was überflüssig ist und handelt danach«, lobte die Mutter.
Ich schaute auf das Cover. Das große Buch der Intelligenztests .
Drinnen trampelte das andere Mädchen auf der Tüte herum. Marmelade und Blätterteig verteilten sich auf dem hellen Teppichboden.
»Na, na, na«, eine Verkäuferin kam hinzu. »Das gehört sich aber nicht. Willst du das nicht mal aufheben?«
»Wiesooo?«
»Weil das doch nicht schön ist, wenn andere Leute darauftreten«, sagte die Buchhändlerin freundlich. Ich nehme an, sie war Kummer gewohnt. Oder sie nahm, seitdem sie hier arbeitete, regelmäßig ein Beruhigungsmittel. Ein starkes.
»Gibt’s denn hier keine Putzfrau?«
»Doch natürlich gibt es die. Aber …«
»Es gibt also eine?«, freute sich das Mädchen mit einer solchen Arroganz, dass ich ihr eine hätte reinschlagen können. »Na, die kriegt jetzt richtig viel zu tun!« Nach diesen Worten trampelte sie weiter und rannte dann mit ihren marmeladeverschmierten Schuhen durch die ganze Buchhandlung.
An diesem Tag, an dem ich angefangen hatte, etwas gegen die Misere zu tun, hörte ich auch schon wieder damit auf. Zum Trost kaufte ich mir einen Ring von Bulgari. Der Preis war mir egal.
Es war ja sowieso sinnlos. Damit musste ich mich abfinden.
Letztens hatte ich einen Traum, und zwar folgenden: An einem Donnerstag bat mich eine Freundin, auf ihren Sohn aufzupassen. Ich schob den Kinderwagen durch Eppendorf, blieb an den Schaufenstern stehen und kaufte mir ein Halstuch.
»Ach du Scheiße«, hörte ich da eine Stimme und drehte mich um. Hinter mir standen zwei Frauen, so um die vierzig, die relativ normal aussahen.
»Ich hab dir doch von dieser Kurzgeschichte erzählt, die ich gelesen habe. In dieser Anthologie. Kerstin Gier hat die rausgebracht.«
»Ja, ich erinnere mich«, sagte die andere.
»Ich weiß nicht mehr, von wem die war, aber jedenfalls hatte die Verfasserin der Geschichte Recht.«
»Inwiefern?«
»Schau dir doch die Weiber hier mal an.« Blick auf mich.
»Die sehen doch tatsächlich alle aus wie Ehenutten.«
»Ja, furchtbar. Haben den ganzen Tag Langeweile und jammern nur rum.«
»Maximilian, pass auf, dass du deine Mütze nicht fallen lässt. Herrje!«, hörte ich mich sagen.
»Soll sie doch die Mütze aufheben,
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