Kerstin Gier 2
auch nicht. Das ist aber okay. Die Hauptsache ist, dass ICH weiß, was ich denke.«
»Und was denkst du denn?«
»Ich will daran glauben, dass es diesen Katzenträumer wirklich gibt und dass Rosine wirklich mit ihm gesprochen hat und dass er mir diesen Brief geschrieben hat. Das geht, wenn ich will. Papa sagt immer: Geht nicht, gibt’s nicht!«
Finns rundes Kindergesicht sah wild entschlossen aus. Tobias glaubte ihm aufs Wort, dass er es mit dieser Maxime weit bringen würde im Leben. Bis zum Katzenhimmel hatte er es schon geschafft.
»Dein Papa ist ein kluger Mann. Und es könnte gut sein, dass sich gerade eine Katze im Himmel namens Rosine ganz doll freut, dass du an sie glaubst. Und was meinst du – willst du auch ein Eis? Ich würde dich gern zu einem Eisbecher beim Italiener um die Ecke einladen.«
Finn strahlte und versicherte, dass er große Lust auf ein Eis hätte, aber erst seine Mutter fragen müsse, ob es okay sei, wenn er mit Tobias ins Eiscafé ginge. Einen Moment war Tobias versucht, Annika mit einzuladen. Aber ihm fiel noch rechtzeitig ein, dass es kein Zeichen von Intelligenz war, jemanden einzuladen, wenn man von vornherein wusste, dass die Antwort »Nein« sein würde.
Im Eiscafé vertilgte Finn einen riesigen Erdbeerbecher mit Sahne und plauderte unentwegt, ganz wie in den alten Zeiten im Garten, nur, dass er hier die Uhr nicht im Auge hatte. Er erzählte von der Schule, der bevorstehenden Hochzeit seines Vaters und dass er sich nicht dazu verdonnern ließ, Blumen zu streuen, dafür sei er viel zu alt. Dann fragte er plötzlich: »Warum hast du mich eigentlich zum Eis eingeladen?«
»Weil ich Lust dazu hatte. Und ich hatte Lust auf einen Krokantbecher«, antwortete Tobias wahrheitsgemäß und leckte genüsslich seinen Löffel ab. Es war schon ziemlich lange her, seit er sich die Zeit genommen hatte, einen Eisbecher zu genießen. Finn grinste von einem Ohr zum anderen. Sahne tropfte über sein Kinn, und sein Mund war rot verschmiert.
»Ich mag dich leiden, Tobias«, sagte er.
»Ich mag dich auch leiden, Finn«, sagte Tobias und fragte sich, ob er noch bei Verstand war. Von allen Kindern auf diesem Planeten mochte er dieses eine tatsächlich leiden, auch wenn es logisch nicht zu ergründen war, wie Finn es geschafft hatte, sich in sein Herz zu schmuggeln.
Zwei Tage später, abends um kurz nach neun, klingelte Annika an Tobias’ Wohnungstür. Tobias war so verblüfft, sie zu sehen, dass er mit offenem Mund dastand und sie anstarrte wie eine Fata Morgana.
»Ich würde gern mit dir reden«, sagte die Fata Morgana ohne Umschweife, und schon stand sie im Flur. Ihr Parfüm – irgendetwas Blumig-Frisches – kitzelte Tobias’ Nase, und er dachte an Kornblumen, Margeriten und Mohn unter einem azurblauen Himmel. Sein Herz klopfte schneller, aber es fühlte sich nicht besorgniserregend an. Jedenfalls nicht allzu sehr.
»Worum geht’s denn?«, erkundigte er sich.
»Stell dir vor: Der große Unbekannte hat wieder zugeschlagen. Ich habe auch einen Brief von Katzenträumer bekommen. Er lag heute im Briefkasten. Es würde mich sehr interessieren, was du dazu sagst.«
» DU hast einen Brief von Katzenträumer bekommen? Das kann doch gar nicht sein! Das ist absolut unmöglich!«, platzte es aus Tobias heraus.
»Wieso? Rosine war immerhin neunzehn Jahre lang meine Katze. Warum sollte sie mir nicht auch eine Nachricht zukommen lassen?«
Tobias schoss ihr einen ungläubigen Blick zu. Das konnte sie nicht wirklich ernst meinen, obwohl sie so unschuldig dreinschaute wie ein Gänseliesel von der Alm, wozu ihre Frisur – ein dicker, blonder Zopf – nicht unwesentlich beitrug.
Er war auf einmal so wütend, dass er kein Blatt vor den Mund nahm:
»Annika, bitte verschone mich mit dieser Tour, ja? Wir sind doch zwei erwachsene Menschen. Muss ich dir jetzt wirklich erklären, dass Katzen nur im Märchen und in Fantasy-Romanen Botschaften aus dem Jenseits übermitteln? Muss ich dich tatsächlich darüber aufklären, dass sich jemand eine Geschichte ausgedacht hat, um einen kleinen Jungen, der um seine Katze trauert, zu trösten? Dieser Jemand hat es gut gemeint, aber ich kann dir versichern, dass er dir definitiv keinen Brief geschrieben hat.«
»Woher willst du das denn so genau wissen?«, erkundigte sich Annika mit taubensanfter Stimme.
Ups. Verplappert. Tobias musste schlucken. Er war auf gefährlichem Terrain gelandet. Hoffentlich konnte er sich noch rausreden.
»Man muss kein Hellseher sein, um
Weitere Kostenlose Bücher