Kerstin Gier 2
bis zum Umfallen«, sagte er in seiner netten, fröhlichen Art. »Buchstäblich.«
»Ich muss vorarbeiten«, erklärte ich. »Meine Schwiegermutter kommt zu Besuch.«
»Ich dachte, dein Mann ist tot.«
»Ja, aber meine Schwiegermutter lebt noch und ist immer noch meine Schwiegermutter.«
»Da haben die Geschiedenen eindeutig bessere Karten«, sagte er, bevor er lässig sein Armani-Sakko über die Schulter warf und zum Ausgang schlenderte. Während ich mit meinen Akten zum Parkplatz stolperte, überlegte ich trübsinnig, wie Recht er hatte. Heutzutage konnten sich die Leute scheiden lassen, um ihre Schwiegermütter loszuwerden. Johannes hatte sich auf diese Weise schon zwei Mal von unliebsamer Verwandtschaft befreit. Genauer, von Verschwägerung, wie es im Juristenjargon heißt. Schwiegermütter waren nicht mit einem verwandt, sondern bloß verschwägert. Vielleicht hätte ich Beate früher schon auf diese Abstufung beziehungsweise die daraus resultierenden unterschiedlichen Verpflichtungen hinweisen sollen.
Während der Heimfahrt dachte ich darüber nach, wozu Elfriede wohl Kerzen und Kreide brauchte.
*
Meine Schwiegermutter sah für ihr Alter tatsächlich noch sehr gut aus. Schlank, jede Menge eigene Zähne, kaum Arthritis. Dafür, dass sie ihr Haar seit vielen Jahren pechschwarz färbte, war es immer noch erstaunlich voll. Die paar Falten überdeckte sie mit reichlich Make-up, und die Sachen, die sie anhatte, stammten von Zara und H&M. Ihr Rock hätte nicht so eng und vor allem deutlich länger sein müssen, aber dafür reichten ihre Stiefel bis übers Knie. Falls sie Krampfadern hatte, wurden sie auf diese Weise gut versteckt.
Elfriede inspizierte das Gästezimmer, das ich für sie vorbereitet hatte. Eigentlich war es mein Arbeitszimmer, aber ich hatte meine Sachen ins Wohnzimmer geräumt und würde mit dem Laptop auf dem Sofa arbeiten, das war sowieso bequemer.
Meine Schwiegermutter deutete auf den Schreibtisch. »Den brauche ich nicht. Eigentlich sitze ich mit meinem Laptop lieber auf dem Sofa. Ich hoffe, du hast WLAN .«
Sprachlos sah ich zu, wie sie ein ultimatives Siebzehn-Zoll-MacBook aus ihrem Koffer holte. Fachmännisch schloss sie es mit dem Ladekabel ans Stromnetz an. Dann blickte sie sich gründlicher um.
»Wo sind die Kerzen und die Kreide?«
»Oh … ähm, ich hatte noch keine Zeit zum Einkaufen. Wofür brauchst du die denn?«
»Blöde Frage. Natürlich für den Schutzzauber.«
Sie zog eine Tüte aus ihrem Koffer und förderte daraus ein paar merkwürdig aussehende Feudel zutage. Sie rochen, als hätte man damit mindestens hundert Jahre lang sauber gemacht, vorzugsweise in muffigen, feuchten Kellern. Sie nahm Thomas’ Foto von der Wand neben dem Schreibtisch und hängte stattdessen eines der flusigen schmutzigen Dinger hin. Ein anderes befestigte sie mit Tesafilm über dem Fenster, ein drittes an der Tür.
»Wofür genau soll das gut sein?«, erkundigte ich mich höflich.
»Nicht wofür«, korrigierte sie mich. »Wo gegen .«
»Also, wogegen soll das gut sein?«
»Natürlich gegen Dämonen.«
»Ach so«, sagte ich schwächlich. Um Gottes willen, es war viel schlimmer, als ich befürchtet hatte! Ich würde mich nach einem Babysitter umschauen müssen, wenn ich in den nächsten sechs Wochen überhaupt noch ins Büro oder zum Gericht wollte!
Elfriede musterte mich missbilligend. »Du tust besser daran, mir rasch die Kerzen und die Kreide zu besorgen. Ich könnte auch meinen Kajal benutzen, aber der lässt sich schlechter abwaschen.«
*
Am nächsten Morgen bat ich meinen Etagennachbarn, ein Auge auf Elfriede zu haben. Oliver war freiberuflich tätig, sprich, er hockte die meiste Zeit des Tages zu Hause, wenn er nicht gerade joggen oder mit seinem Hund spazieren ging. Als Drehbuchautor war er gut im Geschäft und konnte sich daher ein paar freie Stunden leisten.
»Es reicht, wenn du ein, zwei Mal nach ihr schaust«, sagte ich, als ich ihm den Schlüssel gab.
»Wird sie keinen Schreck kriegen, wenn ich auf einmal hereinschneie?«
»Ich habe ihr gesagt, du bist mein Freund. Das fand sie cool .«
»Ah.« Oliver betrachtete mich. »Du siehst erschöpft aus. Kann es sein, dass du zu viel arbeitest? Hast du mir nicht erzählt, dass du nach jahrelanger Juniorpartnerschaft in einer Großkanzlei extra als Angestellte zu einer kleinen Kanzlei gegangen bist, weil du nur noch zum Schlafen nach Hause kamst?«
Ich hob die Schultern. »In letzter Zeit ist es ein bisschen viel geworden.
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