Kerstin Gier 2
wen verknallt ist oder nicht verknallt ist?«
Tobias hörte auf zu tupfen. »Und wie macht man so etwas?«
Annikas tränenglänzende Augen erschienen Tobias so blau wie ein ganzes Feld voller Kornblumen, als sie sagte: »Warum lädst du mich nicht zu einem Erdbeerbecher beim Italiener ein, und wir experimentieren ein bisschen?«
Finn, der in seinem Zimmer bei weit geöffnetem Fenster auf der Fensterbank hockte und las, sah seiner Mutter und Tobias zu, wie sie die Straße entlanggingen. Sie waren kurz vorbeigekommen, um ihm Bescheid zu sagen, dass sie unterwegs zur Eisdiele waren. Finn hatte sich gehütet zu fragen, ob er mitkommen dürfe. Er war sehr zufrieden mit sich und der Welt und den Botschaften, die seine Katze im Himmel verkündet hatte. Und es entging seinen Adleraugen nicht, dass Tobias auf einmal seinen Arm um die Schultern seiner Mutter legte.
Sonntag
Gebt mir mehr Alkohol! Ich hasse rührselige Geschichten, in denen Haustiere vorkommen. Wenigstens ist die blöde Katze gestorben! Prost.
Sabine
Sonntag
Ich bade in Tränen! Ist die Geschichte nicht allerliebst und zauberhaft?? So sind die Männer! Anfangs denken sie noch so was wie »Kinder waren laut, entsetzlich anstrengend, teuer im Unterhalt, und es dauerte ewig, bis sie endlich erwachsen und aus dem Haus waren« , aber dann berührt etwas ihr Herz, und sie erkennen, worin der wahre Sinn des Lebens besteht. Ich hoffe so sehr, dass Tobias und Annika noch ein Baby bekommen werden. Es gibt einfach nichts Schöneres.
Mami (Kugelbauch) Ellen
Sonntag
Finde leider die Munition nicht, sonst würde ich ein allerliebstes und zauberhaftes Loch in eurer Schlafzimmerfenster schießen, Ellen.
Sabine
Sonntag
Keine Angst, Ellen, Sabine macht nur Spaß. Ich fand die Geschichte auch entzückend. Fällt euch auf, dass es in dieser Anthologie öfter alleinerziehende Mütter gibt? Ich finde das sehr gut, denn das entspricht auch der Realität. Wenn auch nicht unbedingt in dieser Siedlung hier. Leider wird das Thema Handarbeiten allerdings bisher sehr vernachlässigt.
Mami Gitti
Eva Völler
Der Schwiegerdämon
»Der wirkliche Scheidungsgrund«, sagte die vor mir sitzende Mandantin, »ist meine Schwiegermutter. Ihnen gegenüber kann ich das offen zugeben, als Anwältin müssen Sie ja die Schweigepflicht einhalten.«
Das tat ich mit Freuden, ich konnte sowieso nicht reden, denn mir war nicht gut. Ich hatte schon den ganzen Tag diese merkwürdigen Kopfschmerzen, ganz hinten, dicht über dem Nacken, sodass man nicht wusste, ob es nur eine heftige, nach oben ausstrahlende Verspannung war oder eine beginnende Migräne. Solche Kopfschmerzen hatte ich immer, wenn sich Stress anbahnte, sogar dann, wenn ich keine Ahnung hatte, welcher Stress das sein könnte.
»Sie sagen ja gar nichts«, meinte die Mandantin. Sie war erst dreißig, also fast zehn Jahre jünger als ich, und trotzdem schon am Ende ihrer Ehe angelangt. Und das nach kaum drei Jahren. Meine eigene Ehe hatte doppelt so lange gehalten, und höchstwahrscheinlich wäre ich heute immer noch mit Thomas verheiratet, wenn er nicht bei einem Unfall vor vier Jahren gestorben wäre. Die Einschränkung auf höchstwahrscheinlich hing mit dem Gesetz der Statistik zusammen: In Großstädten tendierte die Scheidungsquote in Richtung fünfzig Prozent. Ich konnte durch den Supermarkt gehen und die Frauen abzählen, und, egal wie sie aussahen, wie sie angezogen waren, ob sie hübsch oder hässlich oder alt oder jung waren: Mindestens jede Zweikommafünfte ließ sich scheiden. Dagegen konnte man nichts machen. Es war, wie gesagt, das Gesetz der Statistik. Wenigstens das war mir und Thomas erspart geblieben, in der Rückschau würde er immer meine große Liebe und unsere Ehe immer wundervoll bleiben.
Unterdessen lebte ich davon, dass bei anderen das Gegenteil geschah. Es war sozusagen mein täglich Brot.
»Was ist los mit Ihnen?«, wollte die Mandantin wissen. »Sie sehen so … verbiestert aus. Diese Grübelfalte da über Ihrer Nasenwurzel – das muss nicht sein. Ich kann Ihnen eine gute Ärztin empfehlen, sie praktiziert in der Stresemannstraße. Eine wahre Botox-Künstlerin.«
»Ich weiß.« Mehr durfte ich nicht sagen, denn die Botox-Künstlerin war eine meiner Mandantinnen, worüber ich bekanntlich schweigen musste. Sehr zähe Scheidung, enorm hohe Anwaltsgebühren. Johannes hatte frohlockt und gemeint, noch ein paar solcher Fälle, und er würde mich zur Teilhaberin machen. Ich hatte ihm zum wiederholten
Weitere Kostenlose Bücher