Kerstin Gier 2
Male erklärt, dass ich lieber angestellt bleiben wollte, mit festen Arbeitszeiten statt mit Achtzigstundenwoche, aber er hatte weggehört.
»Wie auch immer«, meinte die Mandantin. »Vielleicht hätte ich es noch ein paar Jahre mit ihm ausgehalten, trotz seiner vielen Überstunden, dem Gefurze im Bad und der Langeweile im Bett. Man hat sich ja irgendwie arrangiert. Aber an eines kann ich mich beim besten Willen niemals gewöhnen, und das sind die hochheiligen Sonntagsbesuche seiner Mutter. Gegen die habe ich eine unheilbare, lebenslange Allergie. Die Frau ist ein wahres Monster. Würden Sie sie kennen, würden Sie verstehen, was ich meine.«
Ich verstand es auch so und war geneigt, es ihr zu sagen, doch das Telefon klingelte. Es musste dringend sein, anderenfalls hätte Marlene während eines Mandantengesprächs keinen Anruf durchgestellt. Meine Kopfschmerzen wurden plötzlich unerträglich.
Ich ging dran. »Ja?«
Marlene räusperte sich bedauernd. »Tut mir leid, dass ich dich störe, Amanda. Aber sie ließ sich nicht abwimmeln.«
»Wer?«
»Deine Schwiegermutter.«
*
»Du musst keine großen Umstände machen«, sagte meine Schwiegermutter. »Zur Begrüßung, meine ich.«
»Was meinst du damit, Elfriede?«
Ich durfte meine Schwiegermutter nicht Mutter nennen, weil sie fand, das mache alt. Sie war fast achtzig, behauptete aber, dass sie als meine ältere Schwester durchgehen könne, rein vom Frischegefühl her. An manchen Tagen, zum Beispiel diesem, glaubte ich, dass sie vielleicht Recht hatte. Ich rieb mir den schmerzenden Hinterkopf. Hatte es da gerade zwischen den Wirbeln geknirscht?
»Ich komme morgen«, sagte sie.
»Wohin?«
»Zu dir. Beate fährt für sechs Wochen in Kur. Sie hat gesagt, wenn sie nicht endlich was gegen ihren schlimmen Rücken macht, ist sie nächstes Jahr tot. Ich will nicht mit in dieses Kurkaff, also komme ich so lange zu dir.«
Ich nahm die Hand aus meinem Nacken.
»Schlimme Nachrichten?«, fragte meine Mandantin mitfühlend.
Beate war meine Schwägerin, die ältere Schwester meines verstorbenen Mannes. Ich hatte vor sechs Jahren ihre Scheidung gemanagt. Zuerst war sie mir sehr dankbar dafür gewesen. Ihr Ex hatte sich eine Jüngere zugelegt und parallel dazu einen Bandscheibenvorfall, was ihn zum Hinschmeißen seines Jobs veranlasste, weshalb er dreisterweise noch Unterhalt von Beate verlangt hatte. Ich hatte dafür gesorgt, dass er weiter zur Arbeit hinken und Trennungsunterhalt zahlen musste. Außerdem hatte ich keine Kostenrechnung gestellt, nicht einmal für die Fahrtspesen. Doch Beates Dankbarkeit hatte nicht lange vorgehalten. Kaum hatte ihr Ex seine letzten Sachen bei ihr abgeholt, war Elfriede bei ihr eingezogen, weil sie keine eigene Bleibe mehr hatte. Sie hatte mithilfe von ein paar Räucherstäbchen versehentlich ihre Wohnung abgefackelt. Es kam nicht in Frage, dass sie wieder einen eigenen Hausstand gründete – sie tat Dinge, bei denen es unverantwortlich wäre, sie allein zu lassen . Ich erinnerte mich noch genau daran, wie Beate mir das erzählt hatte.
»Man darf keine Feuerzeuge in ihrer Nähe herumliegen lassen«, hatte sie gesagt. »Und wenn ich nicht aufpasse, zieht sie meine BH s an. Weil sie findet, dass sie an ihr cooler aussehen als an mir. Ich bitte dich – welche Frau von fast achtzig verwendet solche Wörter? Oder meldet sich bei Facebook an und nennt dort als Hobby Dämonen jagen ?«
»Für sechs Wochen?«, vergewisserte ich mich entsetzt.
»Sechs Wochen«, bestätigte Elfriede.
»Könnte ich bitte mit Beate sprechen?«
»Die ist beim Friseur. Und danach will sie shoppen, damit sie ein paar coole neue Klamotten für die Kur hat.« Meine Schwiegermutter lachte verächtlich. »Das war ein Scherz!«
»Dass sie shoppen will?«
»Nein, dass sie coole Sachen kaufen will. Beate hat einen Geschmack wie meine Oma. Blickdichte Strümpfe und Trulla-Röcke. Und ich will gar nicht wissen, mit welcher Frisur sie nachher heimkommt!« In barschem Befehlston setzte sie hinzu: »Hol mich morgen um 13.40 Uhr am Bahnhof ab. Und besorg mir ein paar Kerzen und eine Schachtel Kreide.«
*
Wie immer wurde es im Büro spät. Bis ich alle Schriftsätze diktiert und die Akten für zu Hause zusammengepackt hatte, war es fast neun Uhr abends. Der Aktenstapel, den ich vor mir hertrug, versperrte mir die Sicht, sodass ich fast in Johannes hineinlief. Er fasste mich bei den Schultern und bewahrte mich gerade noch vor einem Sturz.
»Du schuftest ja wieder mal
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