Kesrith – die sterbende Sonne
seinen fragenden Blick, »daß das, was Außenstehende tun, nicht unsere Sache ist. Wir haben keine Brüder und keine Meister. Wir dienen den Regul nicht mehr. Vielleicht hast du noch nicht begriffen, Duncan, daß wir die letzten Mri sind. Auf dem Schiff AHANAL befanden sich alle Überlebenden des Krieges, und der Rest war im Edun. Und die Regul kennen uns, wissen, daß wir ihnen, wenn sie nicht zu Ende bringen, was sie am Hafen begonnen haben, wahrscheinlich Verluste zufügen werden. Da sie eben Regul sind, wünschen sie es sich nicht, uns von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen, um es zu tun, sondern sie werden wahrscheinlich versuchen, deine Art dazu zu überreden, ihnen diese Arbeit abzunehmen. Du siehst, wie die Sache liegt. Du tust besser daran, uns nicht mit Fragen zu bedrängen. Es gibt Dinge, an die man zu gegebener Zeit denken muß, wenn dies geschieht oder wenn jenes geschieht. Aber du tust gut daran, nicht zu fragen, so daß wir überhaupt nicht daran denken müssen.«
Duncan verarbeitete diese lange Antwort schweigend, mit um die Knie geschlungenen Armen, die Hände so zusammengepreßt, daß die Knöchel weiß wurden.
»Duncan«, sagte Melein dann, »man sagt bei uns, gesagt ist getan . Also sagen wir nichts, damit wir nicht dazu verpflichtet sind, es zu tun. Wir stellen nicht mit Wörtern Fallen, wie es die Regul tun. Stelle keine weiteren Fragen!«
Und sie hielt Niun ihre linke Hand hin und bedeutete ihm damit, daß sie Hilfe beim Aufstehen wünschte. Es schmerzte sie, obwohl sie sehr vorsichtig war.
»Da sind Wolken«, stellte sie fest, als sie nach Osten blickte. »Mögen sie auf die Regul herabkommen.«
* * *
Am Nachmittag war der Himmel völlig bedeckt und ersparte ihnen die Hitze der direkten Sonneneinstrahlung, ließ die Luft kalt werden. Und es wurde klar, daß die Wolken taten, was Melein gewünscht hatte, daß über den Ruinen der Stadt und des Hafens ein Sturm losbrechen würde.
Einmal, als sie über ihre Schulter zur Ebene blickte und zu den Blitzen, die in diesem dunklen Bereich herabzuckten, strahlte sie einen Impuls aus, der das Dus vor Bestürzung stöhnen und vor ihr zurückscheuen ließ. Es war Melein, die das hervorgerufen hatte, denn Niun wußte, daß er daran unschuldig war, und das Dus begab sich danach an seine Seite.
* * *
Die Wolken schütteten jedoch kein Wasser auf sie, und ihre Feldflaschen waren nur noch zu einem Viertel voll, als sie das Ende des langen Aufstiegs erreichten und das Hochplateau betraten, Am späten Nachmittag taumelte Duncan vor Müdigkeit und wä- re nur zu gerne bei jeder Gelegenheit stehengeblieben, aber Niun dachte an die Möglichkeit, daß Flugzeuge nach ihnen suchten, und war nicht bereit, auf offenem Gelände anzuhalten, nicht wegen Duncan.
Oft betrachtete er Melein und fürchtete um sie, aber sie marschierte, ohne den Eindruck übermäßigen Leidens zu machen.
Gegen Sonnenuntergang tauchte eine Luin-Gruppe am Horizont auf, verdrehte Stämme, die vor dem Hintergrund des roten Sonnenlichtes wie eine Luftspiegelung wirkten, nackte Zweige, die nur an den Enden mit kleinen Blättern bestückt waren.
»Dort gibt es Wasser«, erklärte Niun Duncan. »Heute abend werden wir leicht lagern können, und du wirst genug zu trinken haben.«
Und Duncan, der angefangen hatte, nachzuhinken, raffte sich zu einer letzten Anstrengung auf und hielt mit den beiden anderen Schritt, die, ohne beladen zu sein, auf die Bäume zuhielten.
Und wanderte sorglos mit ihnen.
»Vorsicht!« schrie Melein, die es sah, ebenso wie Niun, wie die glasigen Stränge sich im Abendlicht ausbreiteten.
Niun riß die Pistole heraus und schoß, bevor Duncan Zeit hatte, zu begreifen, was ihm widerfuhr. Und die Anemone starb, einen üblen Geruch verbreitend, und die glasigen Stränge wurden schwarz. Aber an den Händen und auf der Stirn, wo sie Duncans Fleisch berührt hatte, leuchtete es plötzlich rot auf, und Duncan, dessen Kleidung mit Fühlern bedeckt war, stürzte hin und wand sich vor Qual im Sand.
»Ch'au!« verfluchte Niun die Dummheit des Menschen. »Still! Lieg still!« Und Duncan blieb daraufhin still liegen und schauderte, als Niun mit der Spitze des Av'tlen die Fühler von seinem Fleisch hob. Er zerrte sie auch von der Kleidung ab und drängte Duncan wieder auf die Füße, damit er stehenblieb, während Niun den schwarzen Stoff nach irgendwelchen durchsichtigen Überresten absuchte.
Dann ging Duncan ein paar Schritte beiseite, und ihm war für einige Augenblicke
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