Kesseltreiben
Und der Chef triezt mich, wo er kann, wenn er mir nicht gerade auf den Busen glotzt.
Nur noch zweieinhalb Jahre, und dann können die mich alle mal gerne haben. Dann suche ich mir eine Stelle in Krefeld. Und eine eigene Wohnung. Ich hoffe, dass ich das schaffe. Mama und Papa haben ja bloß mich, und ich habe sie ja auch so lieb. Aber in zwei Jahren bin ich bestimmt schon erwachsener, dann bin ich ja auch volljährig. Hoffentlich schaffen die Eltern dann die Arbeit auf dem Hof alleine.
Senta nehme ich auf alle Fälle mit, obwohl, ich weiß nicht, ob sie sich an eine Großstadt gewöhnen könnte. Die kennt ja nur Freiheit, die braucht ihren Auslauf in der Natur, genau wie ich. Aber damit wird es bei uns hier auch immer weniger, wo sie jetzt angefangen haben zu baggern. Den ganzen Tag nur Krach. Meine Wiese, wo ich letzten Sommer immer im Gras träumen konnte, ist schon weg, und jetzt sind die Felder von Onkel Kurt dran.
Letzte Woche waren wieder zwei von der KGG bei uns und haben ihr Angebot noch mal erhöht. Aber Papa ist hart geblieben: In Gottes Schöpfung pfuscht man nicht rein. Und das sehe ich ganz genauso. Dann hat er sie vom Hof gejagt.
Abends sind dann noch Onkel Kurt und die anderen gekommen und wollten schön Wetter machen und haben sich einen abgelabert. Von wegen, Papa könnte doch den Fortschritt nicht aufhalten, und wenn er nicht verkauft, würde er das Dorf schädigen. Aber Papa hat bloß gesagt, er hätte sein letztes Wort gesprochen.
Ich werde keine »Bravo« mehr lesen! Unsere Deutschlehrerin sagt, die wäre wirklich Schund. Wir sollten lieber was für unsere politische Bildung tun. Schließlich würden wir demnächst das Land gestalten, die Welt sogar. Dabei wird einem schon ein bisschen komisch. Aber ich werde jetzt jeden Tag die Zeitung lesen, auch über Politik, und dann vielleicht noch »Pardon« kaufen. Sie hat uns auch eine Bücherliste gegeben, die wir unbedingt lesen müssen. Ich besorge mir auf alle Fälle eins von Heinrich Boll, weil ein paar aus der Klasse schon was von dem gelesen haben und sagen, der wäre toll. Kai hat endlich auch mal was gesagt. Boll hätte ihm wohl auch gefallen, aber am besten fände er »Deutschstunde« . Ich hab es auf der Liste nachgeguckt, das ist von Siegfried Lenz. Und dann brauche ich ein Lexikon. Ich habe mir nämlich fest vorgenommen, dass ich jeden Tag ein neues Fremdwort lernen will.
Mama sagt, dass sie jetzt in den Lesering eintreten wollen, dann könnte ich mir jeden Monat zwei Bücher bestellen.
Keiner aus meiner Klasse geht jeden Sonntag in die Kirche, und ich will das auch nicht mehr. Gestern habe ich gesagt, ich hätte meine Tage, aber das geht ja auch nicht jedes Mal. Ich bin ja Christin, ich glaube an Gott, aber dafür brauche ich doch keinen Popen und das ganze Brimborium! Zur Beichte gehe ich auf keinen Fall mehr, und das habe ich mit Papa auch schon ausdiskutiert. Bloß Mama ist noch ein Problem, weil die dann immer so traurig wird.
Heute in SoWi ist was passiert. Wir haben über Kiesabbau geredet, und ich habe mich gemeldet und gesagt, was meine Familie davon hält, und auf einmal war ich wer, von wegen Ökologie und so. Alle fanden mich toll, sogar Kai.
Sechs
»In unserer Region liegen Kies- und Sandvorkommen sehr nah unter der Erdoberfläche und sind deshalb leicht abzubauen«, begann Peter Cox seinen Bericht. Er wirkte recht zufrieden.
Auch van Appeldorn ging es besser. Pauls Zahn war gestern endlich durchgebrochen, und der Kleine hatte, von seiner Qual befreit, die ganze Nacht friedlich geschlafen.
Obwohl es erst halb neun war, zeigte das Thermometer schon über zwanzig Grad an. Ackermann hatte eine große Thermoskanne mit Eistee mitgebracht –»selbstgebraut« – und allen einen Becher voll eingegossen.
»Deshalb haben sich in den letzten dreißig Jahren bei uns zahlreiche Kiesunternehmen angesiedelt«, fuhr Cox fort. »Das geförderte Material geht an die Bauindustrie, zum Beispiel zur Herstellung von Beton.«
»Ja, und zwar größtenteils nach Holland und Belgien«, fiel ihm Schnittges harsch ins Wort. »In letzter Zeit aber auch nach Dubai und China, was den Bedarf an Kies natürlich mächtig gesteigert hat.«
Cox schaute ihn erstaunt an.
»Ich habe gestern Abend mit einer Bekannten in Kessel gesprochen. Sie ist bei den Grünen«, erklärte Bernie. »Aber mach du erst mal weiter.«
»Gut, normalerweise erteilt der Kreis die Genehmigung für eine Auskiesung, und die Höhere Landschaftsbehörde in
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