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Kesseltreiben

Titel: Kesseltreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leenders/Bay/Leenders
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die in Fachkunde neben mir sitzt, hatte mich angesprochen, ob ich nicht Lust hätte, nach der Schule mit ihr und den anderen in die Eisdiele zu gehen. Die anderen, das sind Stefan, Volker, Monika – und Kai!
    Ob ich wohl Lust hatte? Alle waren sehr nett zu mir, und jetzt gehöre ich auf einmal dazu. Meine Eltern freuen sich auch, dass ich Freunde gefunden habe. Die Leute bei uns im Dorf die so alt sind wie ich, kann man vergessen, so was von primitiv. Die Jungen wollen alle bloß Schützenkönig werden und saufen sich die Birne weg. Und die Mädchen? Sind genau wie ihre Mütter, bloß ohne Kittelschürze, wenn sich jetzt auch viele schminken und einen Mittelscheitel tragen. Jedenfalls wollen meine Eltern Karen kennenlernen. Ich soll sie mal übers Wochenende einladen. Ich weiß nicht, bestimmt findet sie es spießig bei uns. Und wenn man selbst nicht vom Bauernhof kommt, dann stört einen bestimmt auch der Viehgeruch und so.
     
    Ich hätte mir gar keine Sorgen zu machen brauchen. Karen hat alles klassegefunden. Natürlich war es peinlich, wie meine Mutter sie ausgefragt hat, was denn ihre Eltern so machen. Aber Karen fand das anscheinend gar nicht so schlimm. Sie hat erzählt, dass ihr Vater technischer Zeichner ist und ihre Mutter Hausfrau und dass sie zwei jüngere Brüder hat. Papa meinte hinterher, als sie wieder gefahren war, Karen wäre ein ordentliches Mädchen. Sie hat ihn aber auch richtig um den Finger gewickelt, wollte unbedingt beim Melken helfen und hat die ganze Zeit mit Senta gespielt. Ich wünschte, ich wäre so wie sie. Sie hat in meinem Zimmer geschlafen, und wir haben die halbe Nacht gequatscht. Sie findet den Stefan total süß, und ich habe ihr dann auch erzählt, dass ich in Kai verknallt bin. Karen kennt Kai schon von klein auf. Sie wohnen in einer Straße. Kai hat in der elften Klasse die Schule geschmissen, er hatte einfach keinen Bock mehr auf Penne. Seine Eltern waren total sauer – sie haben ein Hotel in Uerdingen – und haben ihn quasi gezwungen, die Kochlehre zu machen. Sonst würden sie ihn rausschmeißen, sagt Karen. Die hätten Kai aber sowieso immer auf dem Kieker. Deren Liebling wäre seine Schwester, die schön brav ihr Abi macht und dann Hotelfach studieren will.
     
    Karen hat sich Stefan geangelt. Die haben es sogar schon gemacht, als Karens Eltern mal nicht zu Hause waren. Also, mir wäre das zu schnell gegangen, aber Karen hat ja auch schon Erfahrung, sie war schon mit fünfzehn keine Jungfrau mehr. Jetzt hat sie sich die Pille verschreiben lassen. Die kriegt man sogar umsonst von der Kasse, wenn man sagt, dass man sie braucht, weil man immer so Schmerzen bei den Tagen hat.
     
    Am Dienstag ist unsere SoWi-Lehrerin mit uns in die Eisdiele gegangen. Wir sagen jetzt Renate zu ihr, und wir duzen uns.
    Sie ist toll, ganz jung, und sie kommt auch aus meiner Ecke, aus Kleve, und sie sagt, wenn ich mal eine Fahrgelegenheit brauche, kann ich bei ihr im Auto mitfahren.
     
    Bei uns in Kalkar wird ein Atomkraftwerk gebaut, in Hönnepel, genauer gesagt. Und Renate ist voll dagegen. Es ist ein Schneller Brüter und lebensgefährlich wegen der Strahlung. Renates alte Lehrerin hat eine Initiative gegründet, die gegen den Brüter protestiert. Renate will uns am Freitag Informationsmaterial mitbringen, aber Karen und ich haben jetzt schon beschlossen, bei der Gruppe mitzumachen.
     
    Stefan hat eine eigene Bude! Der hat ’ s gut, der ist schon achtzehn. Sein Vater ist versetzt worden, und die Familie musste umziehen, aber Stefan wollte seine Lehre hierzu Ende machen, deshalb bezahlen ihm seine Eltern eine Zweizimmerwohnung mitten in der Stadt. Karen ist natürlich selig, jetzt können sie immer, wenn sie wollen, miteinander schlafen. Sobald Stefan mit dem Umzug fertig ist, will er unsere ganze Clique einladen.
    Es wird immer schlimmer mit mir: Kai braucht mich nur anzugucken, dann fängt mein Herz an zu rasen, und ich kriege einen ganz trockenen Mund. Was soll ich denn machen? Karen sagt, Kai ist einer, der verführt werden will. Aber wie? Ich kann mich ihm doch nicht einfach an den Hals schmeißen!
     
    Demnächst gibt es eine Kundgebung der AKW-Gegner auf dem Markt in Kalkar unter dem Motto: »Für Leben und Zukunft gegen den Schnellen Brüter«. Ich gehe da auf alle Fälle hin. Die Krefelder wollen mit dem Zug kommen, und mich kann Renate mitnehmen, oder ich fahre mit dem Mofa.
    Ich habe mit meinem Vater diskutiert. Er ist auch gegen Atomkraft, das wäre ihm alles zu unheimlich.

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