Kesseltreiben
duschen und dann gleich ins Bett.
Er war gerade vor seinem Haus angekommen, als sein Handy sich meldete.
Misstrauisch schaute er aufs Display und freute sich dann, »Hallo, Mutter, was gibt’s?«
Seine Mutter war die Einzige, die wusste, warum er wirklich aus Krefeld weggegangen war, aber sie war klug genug, es nicht anzusprechen. Sie wollte einfach nur wissen, wie es ihm ging. Dann erzählte sie von ihrem Plan, ein Sommerfest zu machen, »damit ich meine ganze Brut mal wieder so richtig betüddeln kann«.
Als er das Auto abschloss und ins Haus ging, hatte seine Laune sich deutlich gebessert. Er musste an Finkensiepers Fotoalbum denken. Da waren überhaupt keine Babyfotos gewesen.
Auch Peter Cox war nicht traurig, dass die abendliche Teamsitzung nur kurz gewesen war. Er wollte endlich das Gäste-WC fliesen.
Aber Penny war müde und bedrückt, also änderte er seine Pläne, massierte ihr ausgiebig den Nacken und ließ ihr ein Bad ein. Dann füllte er ein Glas mit irischem Whiskey und brachte es ihr ins Badezimmer. Sie trank einen Schluck, schloss die Augen und stöhnte wohlig.
»Das ist schon besser. Hol dir doch auch ein Glas und komm zu mir in die Wanne.«
Was er auch tat.
»Weißt du, dass ich ein schlechtes Gewissen habe? Normalerweise würde ich noch bis spät in der Nacht über den Akten sitzen. Aber jetzt denke ich ständig nur an dich. Ich bin gar nicht so richtig bei der Sache.«
Sie strahlte leise. »Weißt du was? Wenn wir den Fall abgeschlossen haben, nehmen wir uns ein paar Tage frei und fahren nach England. Ich möchte, dass du meine Familie kennenlernst.«
»Bei der ich dann um deine Hand anhalten werde.«
»Machst du Witze?«
»Eigentlich nicht.«
Neun
Jetzt ist es schon zwei Wochen her, und ich kann es immer noch nicht begreifen: Mama und Papa sind tot, alle beide tot!
Ich laufe rum wie immer, mache alles wie immer, und dann überfällt es mich, und ich kann es nicht fassen.
Aber das Allerschlimmste ist: Als sie gestorben sind, lag ich mit Kai im Bett.
Wir wollten nach Elten auf Tante Marias Silberhochzeit. Mit Mamas Käfer, denn Papa wollte auf der Feier was trinken. Im letzten Moment, bevor es losgehen sollte, habe ich gesagt, dass ich Kopfschmerzen hätte und dass mir furchtbar schlecht wäre. Das hatte ich alles so mit Kai abgesprochen, er saß schon hinten im Obsthof und hat nur darauf gewartet, dass meine Eltern abfahren.
Und dann ist ihnen auf der Emmericher Rheinbrücke ein besoffener Holländer frontal in den Wagen gerast. Sie wären beide sofort tot gewesen, sagte der Polizist. Als ob mir das was helfen würde …
Ich bin nur müde, und ich kann nicht mehr weinen, so als wäre ich ausgetrocknet.
Tante Maria war die ersten paar Nächte bei mir, und irgendjemand aus der Nachbarschaft hat sich um die Tiere gekümmert.
Jetzt bin ich wieder allein. Tante Maria wollte mich mit zu sich nehmen, aber ich wollte lieber hierbleiben.
Ich will, dass alles so bleibt, wie es ist.
Die Frauen aus dem Dorf bringen mir Essen, und sie putzen und waschen für mich, aber sie sagen nicht viel.
Renate besucht mich jeden Tag auf ihrem Rückweg von der Schule und redet mit mir. Sie meint, ich soll mir Zeit lassen und erst wieder zur Schule gehen, wenn es mir wieder besser geht.
Wie soll es mir denn besser gehen?
Aber nein, nächste Woche gehe ich wieder zur Schule und morgen auch wieder zur Arbeit. Ich muss doch meine Lehre zu Ende machen.
Gestern war Vaters Anwalt bei mir, Onkel Kalli, ich kenne ihn schon, seit ich ein Baby war. Er meint, es ist gut, dass ich vor zwei Monaten volljährig geworden bin, das würde alles leichter machen. Ich könnte den Hof verkaufen, er sei schuldenfrei, und ich würde einen guten Preis dafür bekommen.
Aber verkaufen werde ich ganz bestimmt nicht, niemals! Der Hof ist mein Zuhause, und Vater würde es auch nicht wollen, das weiß ich.
Heute hat mich Renate zu einem Treffen ihrer Gruppe mit holländischen Atomkraftgegnern mitgenommen.
Es hat mir gutgetan, über etwas anderes nachzudenken und mich zu engagieren.
Als ich wieder zu Hause war, habe ich endlich die Kraft gefunden, Mutters und Vaters Kleider in Müllsäcke zu packen und auf die Tenne zu schaffen. Lettie bringt sie für mich zur Caritas. Sie ist immer so praktisch und so nett zu mir. Sie will eine Theatergruppe gründen und mich dabeihaben, wenn es so weit ist. Ich und Theater! Das habe ich ihr natürlich nicht gesagt, denn ich weiß ja, dass sie mich nur trösten will. Und das kann
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