Ketten der Liebe
gleichgültig. Sie war in eine tiefe Schwermut gefallen, aus der es keinen Ausweg zu geben schien. Es gab nichts mehr, das sie an ihr Kind erinnert hätte. Täglich bemühte sie sich, sich Moraimas liebes kleines Gesicht einzuprägen, aber schließlich verblaßte die Erinnerung an sie. Sie konnte weder essen noch vernünftig schlafen. Das Leben hatte für sie jegliche Bedeutung verloren. Sie hatte kein Kind mehr und auch nicht die Hoffnung, noch eines zu bekommen. Was blieb ihr noch? Ihr Liebhaber wollte keine Kinder. Obwohl er sie sehr mochte, liebte er sie nicht. Ihr Zustand verschlechterte sich zusehends.
Hasdai vertiefte sich einmal mehr in die Übersetzung von De Materia Medica. Er bemerkte Zaynabs Teilnahmslosigkeit und Gram nicht. Der Übersetzer vom Hof des byzantinischen Kaisers hatte während ihrer Abwesenheit beinahe ohne Pause gearbeitet. Es hatte sich ein riesiger Stapel Seiten angehäuft, die er für Hasdai vom Griechischen ins Lateinische übersetzt hatte. Nun war es an Hasdai ibn Shaprut, diese Seiten vom Lateinischen ins Arabische zu übertragen. Er war kaum zu Hause, aber Zaynab beschwerte sich nicht darüber. Er begriff nicht, wie ernst die Lage war, bis Naja ihn darauf aufmerksam machte.
»Sie stirbt, Herr«, sagte der Eunuch verzweifelt. »Sie verwelkt langsam wie eine prachtvolle Rose am Ende des Sommers. Laßt sie nicht sterben, mein Gebieter. Ich flehe Euch an, helft ihr!« Seine dunklen Augen waren voller Tränen.
»Was kann ich tun, um ihr zu helfen, Naja?« fragte der Nasi.
»Schenkt ihr ein Kind, Herr. Obwohl sie ihre liebliche kleine Tochter niemals vergessen wird, würde ein anderes Kind sie aufblühen lassen und ihrem Leben einen neuen Sinn geben. Im Augenblick hat sie nichts, mein Gebieter. Ihr seid kaum hier. Sheila ist weg. Ihr ist überhaupt nichts geblieben, das glaubt sie zumindest. Sie spielt nicht einmal mehr ihr Instrument oder singt. Habt Ihr das nicht bemerkt?«
Das hatte Hasdai nicht. Er war mit seiner Arbeit zu beschäftigt gewesen. Er war vor allem der ergebene Diener des Kalifen, alles andere kam an zweiter Stelle. Das war seine große Leidenschaft.
Trotzdem konnte er Zaynab nicht ihrem Schicksal überlassen, und plötzlich kam ihm eine Idee, wie er sie retten könnte. Er begab sich zum Kalifen und berichtete ihm von Zaynabs Niedergeschlagenheit.
»Was können wir tun?« Abd-al Rahman war besorgt. Tief in seinem Herzen verspürte der Kalif noch immer Zuneigung für die wunderschöne Liebessklavin.
»Ich bin nicht der richtige Herr für Zaynab, mein Gebieter«, sagte Hasdai. »Meine größte Leidenschaft ist es, Euch zu dienen. Ich werde keine Kinder mit ihr haben, und Kinder sind das, was Zaynab braucht. Moraima wird immer in ihrem Herzen bleiben, aber sie braucht andere Kinder, die sie lieben und verhätscheln kann. Ich würde sie gern einem anderen Herren geben, aber dazu brauche ich Eure Erlaubnis. Mir ist zwar bewußt, daß sie nach dem Gesetz mein Eigentum ist, aber wir wissen beide, wie sie in meinen Besitz kam. Bevor ich sie also einem anderen Mann gebe, möchte ich Euch um Euer Einverständnis bitten, mein gütiger Herr.«
»An wen habt Ihr gedacht?« Der Kalif war zutiefst beunruhigt.
»Ich würde sie Karim al Malina zur Frau geben wollen, mein Herr«, ließ der Nasi den Kalifen wissen.
»Warum?« Abd-al Rahman bellte das Wort hinaus.
»Dafür gibt es mehrere Gründe, Herr. Zum einen sagt der Prinz, er werde nicht noch einmal heiraten oder Kinder zeugen. Er erzählte mir, daß er seinen Neffen Malik ibn Ahmed zu seinem Erben machen will. Ich glaube nicht, daß dies eine Lösung ist, mit der dem Kalifat am besten gedient ist. Karims Familie ist der Dynastie der Omajjaden seit zweihundert Jahren eng verbunden. Die Großeltern von Malik ibn Ahmed, bei denen er aufwächst, haben keinerlei Erfahrung, was das Regieren angeht. Er würde kein guter Statthalter sein. Als ich Karim fragte, warum er nicht noch einmal heiraten wolle, erwiderte er mir, daß er eine Frau liebe, die er nicht haben könne, und daß er bereits einmal die unbefriedigende Erfahrung einer Heirat gemacht habe, bei der die Liebe keine Rolle gespielt habe. Ich glaube, Zaynab ist die Frau, die er liebt und nicht haben kann. Und ich glaube weiter, daß auch sie ihn liebt.«
»Sie erzählte mir einst, daß sie jemanden geliebt habe, bevor sie zu mir gekommen ist«, sagte der Kalif langsam. »Sagt mir, Hasdai, was läßt Euch glauben, daß es der Prinz von Malina ist, den Zaynab
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