Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
Ramsay ist begeistert und gibt die Entdeckung Hahns am 16. März 1905 auf der Sitzung der Royal Society bekannt.
Hahn hat in London genügend Selbstvertrauen getankt. Sein nächstes Praktikum leistet er bei Ernest Rutherford in Montreal. Bei ihm lernt er zu improvisieren, sich aus Tabaksdosen, Ölkännchen und Konservenbüchsen funktionierende Apparate zur Überprüfung radioaktiver Substanzen zu basteln. Aber auch im Labor des vor Arbeitskraft und Begeisterung sprühenden Rutherford sind längst Apparate und Instrumente verstrahlt, sodass die Messungen naturgemäß schwacher Strahlungen in anderen Räumen vorgenommen werden müssen. Wie Giesel und die Curies ist auch Rutherford selbst schon zu einer radioaktiven Quelle geworden. Einmal repariert er ein kaputtes Elektrometer auf Hahns Arbeitstisch. Nach dem Eingriff funktioniert es zwar wieder, ist dafür aber verstrahlt. Mit der Szintillationsmethode untersucht Hahn die Alphastrahlung «seines» Radiothor und taucht ein in die faszinierenden Leuchterscheinungen des Zinksulfidschirms. Auch in Montreal entdeckt er gleich zwei neue Elemente, sodass der Meister ihm zum Abschied einen ganz besonderen Riecher dafür bescheinigt.
Das Chemische Institut an der Berliner Universität wird von Emil Fischer geleitet, Nobelpreisträger von 1902. Nach seiner Rückkehr aus Kanada im Oktober 1906 darf Hahn sich in einer unbenutzten Holzwerkstatt im Erdgeschoss ein Labor einrichten. Anerkennung und Respekt darf er von seinen Kollegen allerdings nicht erwarten. Der Beruf des Radiochemikers wird noch immer nicht ganz ernst genommen und von manchem organischen Chemiker verächtlich gemacht. Auf seinem in der Fakultät ausgehängten Habilitationsgesuch tauchen bald abfällige Bemerkungen auf. «Es ist unglaublich, was sich heutzutage alles habilitiert», lautet der Kommentar eines Mitarbeiters [Hah 2 :84]. Aber Hahn lässt sich von seinen voreingenommenen Kollegen nicht beirren. Im März 1907 weist er in einem Thoriumpräparat die «Muttersubstanz» seines Radiothors nach und nennt sie Mesothor.
Die führenden Radiumforscher Curie, Becquerel und Giesel haben die schädlichen Wirkungen von Radium auf den menschlichen Organismus am eigenen Leib mit tief klaffenden und schlecht verheilenden Wunden vorgeführt. Pierre Curie warnte in seiner Nobelpreisrede sogar vor einem allzu leichtfertigen Umgang mit hochradioaktiven Stoffen. Dies könne zu Lähmungserscheinungen führen und schließlich tödlich sein. Er wusste, wovon er sprach. Zu diesem Zeitpunkt fiel es ihm bereits schwer, ein Reagenzglas zwischen Daumen und Zeigefinger festzuhalten. Doch als der österreichische Physiker Stefan Meyer herausfindet, dass das Wasser der als heilkräftig geltenden Thermalquellen in Bad Gastein radioaktiv ist, will niemand mehr solche Geschichten hören.
Und so bleibt es nicht aus, dass die vom Radiumboom aufgescheuchten Mediziner auch die St. Joachimsthaler Uranbergwerke unter die Lupe nehmen. Angeblich leiden die Kumpels dort nie an Rheuma, Gicht und Neuralgien, was auf die ständige Ausdünstung des Radons aus dem Uranzerfallsprodukt Radium zurückzuführen sei. Offenbar leiste hier die radioaktive Luft genau das, was in Bad Gastein von dem legendären Wasser ausgehe. Gerade ist auch das Grubenwasser amtlich als radioaktiv beglaubigt worden. Es ist das ständig durch Spalten und Ritzen im Deckgebirge in den Stollen einsickernde Grundwasser. Der clevere Joachimsthaler Bäckermeister Kuhn lässt sich von dieser guten Nachricht zu einer Geschäftsidee inspirieren. Mit Genehmigung der Behörden lässt er das Grubenwasser aus dem Bergwerk in hölzernen Trögen in sein Haus schleppen und bietet rheumakranken Kurgästen ein angeblich schmerzlinderndes Bad an. Für Trinkkuren in Flaschen abgefüllt, soll es eigentlich vom Arzt verschrieben werden, bringt dem Bäcker allerdings, unter der Ladentheke verhökert, noch einen ordentlichen Nebenverdienst ein. Während die vier unter erbärmlichen hygienischen Umständen installierten Badekabinen neben der Backstube die Keimzelle des künftigen mondänen Radiumheilbads St. Joachimsthal sind, wirbt der Kurort Bad Gastein im Salzburger Land aus Begeisterung für seinen radioaktiven Jungbrunnen ganz offiziell mit den Versen [Bra:113]:
Ein Wunderquell ist Bad Gastein
Auch ich steig’ in das Bad hinein,
Die Radiumbrühe ist mein Glück,
Als Backfisch komm’ ich bald zurück.
In den Apotheken gibt es jetzt Lederbeutel zu kaufen, in denen 62 Gramm Pechblende
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