Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
sollen finanzschwache graduierte Studenten Stipendien zur Weiterbildung erhalten.
Zu diesem Zeitpunkt ist er mit der 22-jährigen Jean Tatlock verlobt, der Tochter seines Berkeley-Kollegen, John S. P. Tatlock, Professor für englische Literatur. Sie hat Psychologie studiert und bereitet sich auf ihre Doktorarbeit vor. Die schöne und kluge junge Frau ist Mitglied der Kommunistischen Partei und schreibt Artikel für den Western Worker , die Parteizeitung für die Pazifikküste. Ihr politisches Engagement färbt auf Oppenheimer ab. Ihre Freunde werden seine Freunde. So erfährt er früh von den Schrecken im Konzentrationslager Dachau. Seiner jüdischen Tante in Hanau und deren Söhnen ist er behilflich, Deutschland zu verlassen und in die USA auszuwandern. Er hilft bei der Finanzierung einer Stiftung, die die Opfer des Arierparagraphen in Deutschland unterstützt. Der Kampf gegen Franco im Spanischen Bürgerkrieg steht ebenfalls auf Oppenheimers Agenda. Dafür stellt er großzügige Schecks aus. Aber er tut auch etwas für die theoretische Aufrüstung. Freunde kolportieren, er habe im Sommer 1936 «Das Kapital» von Karl Marx auf einer dreitägigen Zugreise von San Francisco nach New York gelesen – alle drei Bände im deutschen Original. Aber das kann nur ein Apéritif gewesen sein, denn ein Jahr später soll er die Gesammelten Werke Lenins gekauft und «durchgepflügt» haben, wie sein enger Freund und Gesinnungsgenosse Haakon Chevalier bestätigt [Bir:127].
Diese radikale Sicht auf gesellschaftliche Zusammenhänge mag zwar Oppenheimers Sinn für soziale Gerechtigkeit ansprechen. Aber seinem Bedürfnis nach philosophischer Tiefe und seelischem Gleichgewicht kann diese Lektüre nicht genügen. Seit er Sanskrit studiert hat und in die spirituelle Atmosphäre der Bhagavad Gita eingetaucht ist, hält er sie für «den schönsten philosophischen Gesang, den es in einer bekannten Sprache gibt» [Bir:110]. Wer spirituelle Belehrungen sucht, bekommt in der Gita den Rat, mit Disziplin und Pflichterfüllung seinen Alltagsgeschäften nachzugehen. Dabei sei allerdings nicht das Streben nach Ruhm und Ehre das Ziel, sondern größtmögliches Losgelöstsein von den Früchten der eigenen Arbeit. Das sei der Weg zur Befreiung der Seele aus irdischen Verstrickungen. Durch den immer wiederkehrenden Ansporn zu Disziplin und Verzicht auf irdischen Erfolg in diesem Gesang von 700 Strophen fühlt sich Oppenheimer in der Überzeugung bestärkt, dass Wissenschaftler von ihren Elfenbeintürmen herabsteigen sollten, um selbstlos in der Welt zu wirken. Hier mag auch die Ursache für seine klare Absage an ein pflichtbefreites Leben in Princeton liegen. «Pflichterfüllung, Schicksal und Glauben … In Oppenheimers Philosophie waren diese drei Prinzipien keineswegs nur Zierrat, sondern von grundlegender Bedeutung. Ohne sie wäre er ein anderer Mensch gewesen» [Hij:125]. Allerdings ist er eigensinnig genug, um nicht gleich zum gläubigen Hindu zu mutieren.
Warum der scharfsinnige Intellektuelle den Fatalismus der Gita und das in Wundertätigkeiten und Ranghöhen nur schwer durchschaubare mythische Personal des Hinduhimmels anziehend findet, bleibt manchen seiner Freunde und Weggefährten ein Rätsel. Die karge Schönheit New Mexicos ist Oppenheimers Seelenlandschaft. Er hat das spartanische Leben der Schuljungen von Los Alamos nicht vergessen. Es hat ihn eigentümlich berührt und die Sehnsucht nach einem gleichwertigen Zufluchtsort in ihm geweckt. Und so mietet er ein Blockhaus an einem Hang der Bergkette Sangre de Cristo. Das Haus ist bescheiden möbliert. Frisches Wasser von einer Quelle ist der einzige Luxus. In den Semesterferien schwingt sich Oppenheimer in den Sattel und reitet in die Wüste.
Auch Werner Heisenberg hat sein Refugium in den Bergen. Was für Oppenheimer das Blockhaus, ist für ihn die Skihütte auf der Himmelmoosalm in den bayrischen Alpen, seine Basisstation für Klettertouren und Skiwanderungen. Die wohl himmlischste Zeit auf der Hütte erlebt er mit seiner Braut Elisabeth im März 1937. Er hat die 22-jährige Buchhändlerin Ende Januar bei einem Kammermusikabend im Haus des Leipziger Verlegers Bücking kennengelernt. Beethovens Klaviertrio in G-Dur stand auf dem Programm mit Stargast Werner Heisenberg am Klavier. «Dieser Abend hatte bereits unser Leben verändert. Wir fühlten beide, dass wir unserem Schicksal begegnet waren» [Cas:453], schreibt die Tochter des Wirtschaftswissenschaftlers Hermann
Weitere Kostenlose Bücher