Ketzer
all der Aufregung dieses Morgens noch gar nicht dazu gekommen war, etwas zu mir zu nehmen, und mein Magen knurrte heftig.
Sein Gesicht wurde lang.
»Sir, für Schänkenbesuche fehlen mir die Mittel.«
»Aber mir nicht«, gab ich zurück. »Und Ihr dürft doch sicher mit mir essen, wenn ich Euch einlade?«
»Es würde Eurem Ansehen in Oxford schaden, mit mir zusammen gesehen zu werden, Sir«, versetzte er trübselig.
»Offen gestanden ist mein Ansehen in Oxford im Moment nicht mehr wert als ein Eimer Pferdescheiße, Master Allen«, beruhigte ich ihn. »Zur Hölle mit ihnen allen! Wir lassen uns jetzt ein gutes Frühstück schmecken, wenn wir irgendwo eines bekommen, kümmern uns später um etwaige Konsequenzen, und Ihr erzählt mir, was Ihr auf dem Herzen habt.«
»Ihr seid sehr freundlich, Sir.« Thomas folgte mir zur Tür hinaus und schloss sie hinter sich ab.
Als wir uns dem Turmbogengang näherten, blickte ich zu James Coverdales Fenster empor, obwohl es zu hoch lag, um etwas erkennen zu können.
»Ist alles in Ordnung, Doktor Bruno?« Thomas war meinem Blick gefolgt. Sein eckiges Gesicht wirkte höflich besorgt. »Ihr seid heute Morgen anders als sonst. Ist etwas geschehen?«
Ich bemühte mich, meine Gedanken zu ordnen. Thomas hatte noch nichts von dem Mord an Coverdale gehört, aber bei unserer Rückkehr würde die gesamte Universität vor Gerüchten und Vermutungen schwirren. Wenn er irgendetwas wusste, musste ich es jetzt aus ihm herausbekommen.
»Nein, nein, es ist nichts. Lasst uns gehen.«
Wir schritten schweigend die St. Mildred’s Lane hinunter auf die High Street zu. Obwohl Thomas gute fünf Zoll größer war als ich, ging er gebückt, als hoffe er, dann weniger aufzufallen, sodass es aussah, als wären wir fast gleich groß. Die Aura von Niedergeschlagenheit und Resignation, die ihn umgab, machte es mir unmöglich, kein Mitleid mit ihm zu empfinden. Als würde er meine Gedanken lesen, drehte er sich kurz zu mir um und vergrub die Hände in den Ärmeln seines zerschlissenen Gewandes.
»Es ist wirklich sehr gütig von Euch, Euch Zeit für mich zu nehmen, wenn man bedenkt, dass ich einen viel niedrigeren gesellschaftlichen Rang bekleide als Ihr, Sir.«
»Wenn wir von gesellschaftlichen Rängen sprechen, Thomas, dann wollen wir nicht vergessen, dass Ihr der Sohn eines Oxford-Fellows
seid und ich der eines einfachen Soldaten bin. Aber ich gebe nichts auf solche Unterschiede. Ich wage immer noch, auf einen Tag zu hoffen, wo ein Mensch nach seinem Charakter und seinen Leistungen beurteilt wird und nicht nach dem Namen seines Vaters.«
»Eine kühne Hoffnung«, stimmte er zu. »Aber für die meisten Leute in dieser Stadt werde ich immer der Sohn eines verbannten Ketzers bleiben.«
»Nun, ich bin ein verbannter Ketzer, also gewinne ich.«
Da sah er mich an, und zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, erhellte ein echtes Lächeln sein Gesicht, bevor er wieder ernst wurde.
»Aber trotzdem seid Ihr der Freund von Königen und Höflingen, Sir«, erinnerte er mich.
»Wie man es nimmt, Thomas. Wenn Ihr auf König Henri von Frankreich anspielt, nun, er liebt es, sich mit Philosophen zu umgeben, um seine eigene intellektuelle Schwäche zu vertuschen. Könige haben nicht in dem Sinne Freunde wie Ihr und ich.«
»Ich habe überhaupt keine Freunde, Sir«, erwiderte er bedrückt. Eine lange Pause entstand, während der wir beide nach Worten suchten. »Auf jeden Fall seid Ihr mit Sir Philip Sidney befreundet, und das ist doch etwas«, meinte er schließlich.
»Ja«, stimmte ich zu. »Ich kann mich glücklich schätzen, Sidney zu meinen Freunden zu zählen. Wolltet Ihr deswegen mit mir sprechen, soll ich mich bei ihm für Euren Vater einsetzen?«
Thomas schwieg einen Moment, dann blieb er stehen und sah mich ernst an.
»Nicht für meinen Vater, Sir. Für mich. Es gibt da etwas, was ich Euch sagen muss, wenn ich mich auf Eure Diskretion verlassen kann.«
Ich nickte. Mein Interesse wuchs. An der Stelle, wo die St. Mildred’s Lane auf die High Street traf, blieben wir stehen und blickten rechts und links über Reihen ungleicher Häuser mit Holzzäunen und die hellen Steinfronten der Universitätsgebäude
hinweg. Zu dieser Stunde lag die Straße fast verlassen da, der Himmel spiegelte sich in den stillen Pfützen wider.
»Das Flower de Luce liegt gleich dort drüben.« Thomas deutete nach links. »Aber es ist teuer, Sir.« Er zupfte nervös am Saum seines Gewandes.
»Das macht nichts.« Ich schloss meine
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