Ketzer
ist das erste Mal, dass du dich für Toleranz aussprichst, James.« Slythursts Augen wurden noch schmaler. Coverdale ignorierte die Provokation.
»Heda, bring uns noch Wein!«, rief er einem Küchenjungen zu, dabei klatschte er in die Hände. Ich lehnte einen weiteren Becher ab, da ich mich noch mit meinen Notizen für die Disputation beschäftigen wollte, bevor ich zu Bett ging, und dazu einen klaren Kopf brauchte.
Als die Mahlzeit beendet war, war es draußen stockdunkel. Die Gäste erhoben sich und verabschiedeten sich mit viel Händeschütteln und Komplimenten bezüglich des Essens, das, wie ich annahm, weit üppiger und schmackhafter gewesen war als das, was für gewöhnlich in der Hall serviert wurde. Die Fellows hießen mich alle noch einmal in Oxford willkommen, wünschten mir eine gute Nacht und beteuerten, wie sehr sie der morgigen Disputation entgegenfieberten. Richard Godwyn forderte mich auf, jederzeit von der Bibliothek Gebrauch zu machen, wofür ich ihm dankte, John Florio verlieh in perfektem Italienisch seiner Hoffnung Ausdruck, dass wir vor meiner Abreise ein wenig Zeit miteinander verbringen könnten, und sogar Doktor Bernard erhob sich unsicher und nahm meine Finger zwischen seine knochigen Hände.
»Morgen Abend, Hexenmeister«, zischelte er mit einem zahnlosen Grinsen, »werdet Ihr Eure frommen Überzeugungen widerlegen, und ich werde in der ersten Reihe sitzen und Euch Beifall spenden – nicht, weil ich Eure ketzerischen Ideale teile, sondern weil ich Männer mit Mut bewundere. Es gibt hier nicht mehr allzu viele davon.«
Er unterstrich seine Worte mit einem bedeutsamen Blick in Richtung des Rektors, der vorgab, nichts zu bemerken. Nur Slythurst machte sich nicht die Mühe, eine höfliche Floskel an mich zu richten, er nickte mir nur knapp zu, als er den Raum verließ, und das tat er auch nur, weil ich einen kalten Blick von ihm aufgefangen hatte. Ich spürte erneut, dass er mir tiefe Abneigung entgegenbrachte, was ich nicht persönlich nahm, denn
mir war aufgefallen, dass er auch seinen Kollegen keine gute Nacht wünschte. Vermutlich gehörte er zu den Menschen, die unter Akademikern häufig vertreten waren – sie taten sich mit gesellschaftlichen Umgangsformen schwer.
Als ich mich von Sophia verabschiedete, streckte sie mir sittsam eine Hand hin, die ich unter den wachsamen Augen ihres Vaters respektvoll küsste. Dieser wurde jedoch von Doktor Bernard abgelenkt, der lautstark überlegte, wo er seinen Mantel gelassen hatte, und während der Rektor ihm versicherte, dass er gar keinen angehabt hätte, beugte sich Sophia zu mir und legte mir eine Hand auf den Arm.
»Doktor Bruno, ich würde unser Gespräch über Agrippas Buch gern fortsetzen. Nach Eurer Disputation könnt Ihr vielleicht ein wenig Zeit erübrigen. Ihr findet mich oft in der Universitätsbibliothek«, fügte sie hinzu. »Mein Vater erlaubt mir, morgens und am frühen Abend dort zu lesen, wenn die meisten Studenten anderweitig beschäftigt sind.«
»Damit Ihr sie nicht von ihren Büchern ablenkt?«, flüsterte ich zurück. Sie errötete und schenkte mir ein wissendes Lächeln.
»Werdet Ihr kommen? Es gibt vieles, das ich Euch fragen möchte.«
Sie blickte mich überraschend eindringlich an, ihre Hand ruhte noch immer auf meinem Arm. Ich nickte kurz, als ihr Vater neben mir auftauchte und mir einen forschenden Blick zuwarf. Dann schüttelte ich ihm die Hand, dankte ihm für das Essen und wünschte ihm eine angenehme Nachtruhe.
Ich war froh, in den kühlen Gang hinaustreten zu können. Es regnete nicht mehr, und nach der stickigen Wärme in der Wohnung des Rektors roch die Luft so frisch und verlockend, dass ich beschloss, die Nachtruhe zu genießen und mir im Obstgarten die Beine zu vertreten, bevor ich mich zurückzog. Am Ende des Ganges stellte ich jedoch fest, dass das Eisentor geschlossen war. Als ich den Ringgriff drehte, tat sich nichts. Das Tor war abgesperrt.
»Doktor Bruno!«, erklang eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und sah Roger Mercer am anderen Ende des Ganges neben der Tür des Rektors stehen. Er trat ein paar Schritte auf mich zu. »Wolltet Ihr einen Spaziergang durch den Hain machen?« Er deutete auf das geschlossene Tor.
»Ist das nicht gestattet?«
»Die Nutzung des Hains ist ausschließlich den Fellows vorbehalten«, erwiderte er, »und nur wir und der Rektor haben einen Schlüssel. Nachts bleibt er verschlossen, weil die Undergraduates ihn sonst für alle möglichen unschicklichen
Weitere Kostenlose Bücher