Kill Order
Stadt. Sie bestand aus einem Wohnzimmer mit Kochnische und einem winzigen Schlafzimmer. Die Möbel waren zweckmäßig und anonym.
Es machte ihn nervös, dass er nichts anderes tun konnte, als untätig herumzusitzen. Gereizt rauchte er eine Zigarette nach der anderen und starrte abwechselnd auf das Telefon und aus dem Fenster. Die Wohnung befand sich im neunten Stock und gewährte einen weiten Blick über die Stadt. Eine mehrspurige Straße schnitt durch die Wohnblöcke wie ein Messer durch Legobausteine. Dahinter erstreckte sich ein Labyrinth aus Dächern und das dunstige Blau des Mittelmeers. Im Fernsehen lief CNN, aber er hatte den Ton abgestellt.
So viel Aufwand, dachte er verbittert, so viel Risiko. Und was hatten sie erreicht? Fedorow war verschwunden, und Carmen mit ihm. Und Katzenbaum tat so, als hätten sie alle Zeit der Welt. Er dachte an den Messerkampf mit Fedorow. Nikolaj hätte ihn töten können. Rafiq begriff nicht, warum er ihn geschont hatte. Bei den Sayeret Mat’Kal-Männern hatte er jedenfalls nicht gezaudert. Warum also hatte er es nicht zu Ende gebracht? Nostalgie? Sentimentale Erinnerungen an alte Zeiten?
Rafiq schüttelte den Kopf. Er hätte nicht einen Moment gezögert, davon war er überzeugt. Er hätte Nikolaj die Kehle durchgeschnitten.
*
Carmens Knöchel schwoll weiter an. Sie hinkte stark, jeder Schritt bereitete ihr Schmerzen. Nikolaj stützte sie. Am Horizont lösten sich Hausdächer und die Fassaden kleiner Häuschen aus dem Nebel.
„Was ist mit deiner Wohnung?“, fragte Nikolaj. „Weiß jemand davon?“
„Nein. Die Wohnung gehört einer Freundin. Sie ist für ein paar Monate im Ausland und hat mir den Schlüssel gegeben, damit ich ab und zu nach dem Rechten sehe.“
Sie stießen auf eine Landstraße. Etwa hundert Meter vor ihnen tauchte ein einzelner Hof auf. Hinter der Scheune entdeckten sie einen Traktor und zwei PKW. Kein Mensch war zu sehen. Er hielt sie mit einer Handbewegung zurück. „Warte hier. Wir brauchen einen Wagen.“
Sie widersprach ihm nicht.
Er näherte sich dem Grundstück von der Rückseite her. Die Scheune verdeckte den Blick vom Wohnhaus. Mit etwas Glück würde niemand bemerken, dass er sich an den Fahrzeugen zu schaffen machte. Er brach einen betagten Ford Escort auf, der über keine modernen Einrichtungen wie Alarmanlage oder elektronische Wegfahrsperre verfügte. Der alte Benzinmotor stotterte beim Kurzschließen, aber als er ein paar Mal Gas gab, begann er gleichmäßig zu laufen. Die Tankanzeige stand auf dreiviertel voll. Er lenkte den Ford um die Gebäude herum zur Straße, hielt kurz an und ließ Carmen einsteigen.
Die Wohnung von Carmens Freundin war groß und geräumig und lag in Schwabing, einer belebten Gegend voller Kneipen und Cafés. Nikolaj beobachtete vom Küchenfenster aus das Geschehen auf der Straße. Es war später Nachmittag; der Berufsverkehr setzte ein. Vor den Kreuzungen stauten sich die Autos.
Carmen schlief noch. Sie hatte direkt nach ihrer Ankunft ein heißes Bad genommen und sich ins Bett gelegt. Er war ebenfalls müde, aber er hatte das Gefühl, dass wenigstens einer von ihnen die Augen offen halten musste.
Auf den Vorfall an der Autobahn konnte er sich keinen Reim machen. Der Überfall war plötzlich und unerwartet erfolgt, und es war klar gewesen, dass die Männer im BMW keine Gefangenen machen wollten. Wer steckte dahinter? Er glaubte nicht, dass es der Mossad war. Viel zu grobschlächtig, viel zu spektakulär. Die hätten sich einen ruhigen Moment ausgesucht, wo sie ihn ohne Zeugen erledigen konnten, wenn das wirklich ihr Ziel war.
Das hier trug eine andere Handschrift. Die gleiche wie der Überfall in Beirut. Aber wer, wiederholte er die Frage in seinem Kopf. Wer? Vielleicht musste er tiefer graben. Vielleicht zurückgehen in die Vergangenheit. Vielleicht war es jemand, der verhindern wollte, dass er sein Wissen mit dem Mossad teilte. Die Mordanschläge hatten erst begonnen, nachdem der Mossad sich auf seine Fährte gesetzt hatte.
Das Rosenfeldt-Attentat. Das war der Fixpunkt, um den alles kreiste. Der Mord an Rosenfeldt hatte den Mossad überhaupt erst auf seine Spur gebracht. Die Israelis wollten die Namen der Hintermänner. Was, wenn genau diese Hintermänner verhindern wollten, dass man ihre Identität aufdeckte?
Das Problem war nur, dass er selbst den Auftraggeber nicht kannte. Viktor, sein alter Geschäftspartner, hatte den Job vermittelt. Viktor Kusowjenko hatte die Bedingungen verhandelt
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