Kill Whitey
›verbotenen Tanz‹ zu bezahlen.«
Darryl schnippte Asche in den Aschenbecher. »Den ›verbotenen Tanz‹?«
Jesse nickte. »Ja. Für hundert Mäuse nehmen sie dich in ein Hinterzimmer mit und zeigen dir die Geheimnisse des ›verbotenen Tanzes‹. Es ist ein Code, der bedeutet, dass man ficken will.«
»Ehrlich?« Darryl klang neugierig.
»Definitiv.«
»Blödsinn«, meldete ich mich zu Wort. »Dass in einem Massagesalon angeschafft wird, glaube ich sofort, aber ein Striplokal ist eine andere Liga. Wenn das wahr wäre, würde die Polizei den Laden dichtmachen.«
»Frag Lou Myers.«
»Lou Myers ist ein Volltrottel.«
»Schon, aber mit Nutten kennt er sich aus. Dafür verprasst der Kerl jede Woche seinen halben Lohnscheck.«
Ich grunzte. »Das kann ich nachvollziehen. Lou ist noch an keinem Big Mac vorbeigekommen, den er nicht gefressen hat. Mich überrascht, dass er überhaupt einen hochbekommt.«
»Mich auch. Tut er aber, und zwar sowohl im Odessa als auch in dem Massagesalon. Und die Bullen unternehmen nichts dagegen, weil sie dort selber einen wegstecken – und nebenbei noch Schmiergeld kassieren. Denk doch mal nach. Was glaubst du, weshalb ein Kerl wie Whitey Putin diese Hühner aus Russland herholt? Nicht nur zum Tanzen. Er lässt sie anschaffen. Er muss weder Steuern noch Krankenversicherung für sie bezahlen und braucht ihnen keinen bezahlten Urlaub zu geben. Es ist einfach perfekt. Und wenn sich der Stall lichtet, kann er immer neue Mädchen bestellen.«
»Also ist Whitey ein Zuhälter?«
»Vielleicht, aber ich bin nicht sicher. Ich weiß nur, dass er Beziehungen hat und man sich nicht mit ihm anlegen sollte. Laut Lou treibt er die Mädchen in Tschetschenien, Georgien, Armenien und so weiter auf. Whiteys Leute schmuggeln sie über den Hafen in Baltimore in die Staaten. Von dort werden sie in das Netzwerk eingeschleust und in andere Städte verschickt. Über Einwanderungspapiere und dergleichen brauchen sie sich nicht den Kopf zu zerbrechen.
Als Gegenleistung, um ihre Schulden zu begleichen, schaffen die Mädchen für die Russen an. Also werden sie in Striplokale, Massagesalons und ähnliche Orte gesteckt. Wie solche, die Whitey gehören. Er besitzt noch andere Lokale. Restaurants, Bars. Hier in York ist Whitey eine große Nummer, im großen Ganzen allerdings ein eher kleiner Fisch. Angeblich steht er in Verbindung zu einer wesentlich größeren Gruppe, die von Brighton Beach in New York aus operiert.«
»Also ist er nicht bloß ein Zuhälter«, sagte ich. »Tonya hatte recht. Er ist ein russischer Mafioso.«
Jesse hob die Hände. »He, ich rede bloß vor mich hin, mehr nicht. Sagen will ich damit gar nichts. Und ihr solltest das auch nicht tun, Jungs. Ernsthaft, in so etwas wollt ihr nicht reingeraten. Je weniger ihr wisst, desto besser für euch.«
Ich fragte mich, ob Whitey tatsächlich zur Mafia gehörte, oder ob alles, was Jesse erzählt hatte, völliger Blödsinn war. Jesse hatte die üble Angewohnheit, zu übertreiben. Tief in seinem Innersten hatte er schon immer echte Probleme mit seinem Selbstwertgefühl.
Für gewöhnlich zielten seine Lügen und Halbwahrheiten darauf ab, ihn wichtiger erscheinen zu lassen, interessanter. So wie diesmal. Es reichte nicht, dass er uns zu einem tollen Striplokal geführt hatte. Es musste ein Striplokal sein, das von der Russenmafia betrieben wurde, und er musste all die großen Geheimnisse kennen, von denen wir anderen nichts wussten.
Allerdings hatte auch Tonya Andeutungen in Richtung Mafia fallen gelassen. Hatte sie das ernst gemeint, oder hatte sie Jesses Unfug nur unterstützt, um mit einem Kunden mitzuspielen?
Circle of Fear wurden von den Deftones abgelöst. Jesse hatte die Augen wieder geschlossen und war eingedöst. Yul kaute erneut an den Fingernägeln. Darryl zündete sich eine weitere Zigarette an und nickte im Takt der Musik.
Konnte Sondra tatsächlich eine Prostituierte sein? Es erschien mir unmöglich. Die meisten Nutten, die ich bisher gesehen hatte, wirkten verbraucht und gebrochen – dürre, ungepflegte Süchtige, die eine Aura trostloser Verzweiflung umgab. Sie hatten sowohl emotionale als auch körperliche Narben, die sich dem Betrachter offenbarten. Sondra hingegen war nichts dergleichen anzumerken. Sie vermittelte vielmehr den Eindruck von ... Frische.
Vielleicht war ich naiv, aber ich sah es einfach nicht. Sondra schien über all dem zu stehen. Allein, wenn man ihr beim Tanzen zusah, wirkte sie wie ein Engel, nicht wie
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