Killer im Kopf
stärksten Jungen auf der Schule. Er war mir kräftemäßig also weit überlegen.«
»Kam es denn zu dieser Vergewaltigung?«
»Nein.« Sheila schüttelte den Kopf. »Ich habe ihm angedroht, laut zu schreien, was ihn keineswegs beeindruckte, denn darüber konnte er nur lachen. Er drohte mir, mich bewußtlos zu schlagen, und er preßte mich gegen die Wand. Er hielt mir den Mund zu. Mit der anderen Hand tastete er meinen Körper ab.« Sheila bekam eine Gänsehaut und bewegte sich zuckend. »Dann ließ er mich für einen Moment los, um den Reißverschluß seiner Hose zu offen. Ich hatte wohl einen hellen Moment, denn ich sagte mir, wenn du jetzt nichts tust, dann schaffst du es nie. In Griffweite stand ein offenes Glasgefäß. Ich weiß nicht, mit welcher Chemikalie es gefüllt war. Ich erinnere mich nur daran, daß sie weiß gewesen ist. Ich kriegte also das Glas zu fassen und schleuderte ihm die Masse ins Gesicht.«
Sheila verstummte und nickte vor sich hin.
»Was geschah dann?«
»Ich hörte ihn noch schreien. Er hat von diesem Zeug etwas in die Augen bekommen. Riotta war wehrlos. Ich stieß ihn zu Boden, dann rannte ich aus dem Zimmer. Ich steckte voller Panik und lief dem Hausmeister in die Arme, der mein Schreien gehört hatte, weil er dabei war, seine Runde zu drehen. Natürlich erfuhr er den Grund meines Verhaltens, und nicht nur er, auch die anderen Lehrpersonen waren sehr bald eingeweiht worden, und natürlich mußte etwas gegen Riotta unternommen werden.«
»Warf man ihn von der Schule?«
»Das war letztendlich die Konsequenz.«
»Damit hattest du deine Ruhe, denke ich.«
Sie stimmte mir zu. »Zunächst. Man sprach über den Vorfall noch einige Tage, dann war die Sache vergessen. Riotta ließ sich nicht mehr blicken, und ich vergaß ihn langsam, denn ich hatte mit der Schule genug Streß. Dann aber geschah es. Ich erinnere mich genau. Das Schuljahr war zu Ende. Am letzten Tag rief er mich an. Er würde ins Ausland gehen, hatte er mir erzählt, und ich weiß bis heute noch nicht, warum ich nicht einfach aufgelegt habe. Das ist mir alles suspekt. Jedenfalls hörte ich zu, und er erzählte mir, daß er mich niemals vergessen würde. Ich würde noch von ihm hören. Irgendwann würde er sich, vielleicht erst nach Jahren, das holen, was ihm damals entgangen war.« Sie schaute mich direkt an. »Tja, John, und jetzt hat er sich gemeldet. Er ist zurückgekommen. Er hat gelernt, denn er ist brutaler und mächtiger denn je. Ich kann mir vorstellen, daß er verdammt viel gelernt hat und sicherlich nicht nur gutes Benehmen. Er hatte schon früher etwas an sich, das allen Mädchen Furcht einjagte. Das alles wird sich bei ihm noch gesteigert haben. Jetzt will er meinen Tod, John. Mit einer Vergewaltigung ist er nicht zufrieden, und wenn ich dir ehrlich etwas sagen soll, dann bin ich schon dabei, mir Vorwürfe darüber zu machen, daß alles meine Schuld gewesen ist.«
»Quatsch!« fuhr ich sie an.
»Aber Frauen sind manchmal so.«
Ich winkte ab. »Wie auch immer, Sheila, du solltest dir keine Vorwürfe machen. Dieser Riotta war böse. Wir können da von irgendwelchen Erbanlagen sprechen oder wie auch immer. Er hat sich bereits damals auf einem anderen Weg befunden.«
»Jetzt ist er wieder da!«
Ich nickte. »Davon müssen wir ausgehen. Was ich dich noch fragen wollte, Sheila, du hast seit der Schulzeit nie wieder etwas von ihm gehört?«
»Um Himmels willen, nein! Ich lernte irgendwann Bill kennen. Ich erlebte den ersten Fall mit, als uns Sakuro, der Dämon, vernichten wollte. Der Tod meiner Eltern, die Heirat mit Bill, Johnnys Geburt, all die schönen und schlimmen Stunden, da hatte ich überhaupt keine Zeit, an die versuchte Vergewaltigung zu denken. Du bist selbst dabeigewesen, John. Du hast erlebt, in welch ein Fahrwasser wir hineingeraten sind, und ich bin daraus hervorgegangen. Ich weiß, daß ich mich durchsetzen kann, ich habe es bewiesen, und meine Sorgen oder Ängste sind auf ein natürliches Maß zurückgegangen. Aber jetzt das. Plötzlich habe ich das Gefühl, als hätte es diese meine Entwicklung nicht mehr gegeben. Ich fühle mich wieder als Teenager. Die alte Angst ist in mir hochgestiegen. Mir ist es an diesem Tag so gewesen wie damals in dem Raum hinter dem Chemiesaal, als mich Ray vergewaltigen wollte. Dieselben Gefühle, diese harte, bedrückende und schreckliche Angst, die man kaum beschreiben, die einer, der sie nicht erlebt hat, auch nicht nachempfinden kann.«
»Ja, Sheila, das stimmt.
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