Killerinstinkt: Serienmördern auf der Spur (German Edition)
Fremdschämen ist jetzt vorbei, habe ich mir gesagt. Du kannst doch überhaupt nichts dafür. Aber die Menschen verstehen das nicht, die wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Wie sie mit mir umgehen sollen. Für die bin ich nur noch Luft.
Aber manchmal denke ich schon: Was bin ich nur für eine furchtbare Person? Immer schleicht sich der Gedanke in meinen Kopf, ich könnte schuld sein an der Sache, ich hätte doch etwas merken müssen. Aber selbst Psychologen haben zu mir gesagt, dass sich mein Mann eben sehr gut verstellen konnte und sich nichts hat anmerken lassen.«
Doch die Selbstzweifel lassen sich nicht einfach wegpusten wie Seifenblasen, sie bleiben und nagen an ihrem Selbstwertgefühl.
Elisabeth Rawski hat nichts von den Mordgelüsten ihres Mannes gewusst. Und dennoch: Es gab immer wieder Anhaltspunkte dafür, dass die schöne heile Welt Risse hatte und sich hinter der Maske des liebevollen Ehemanns ein Mensch versteckte, der dem Leben und seinen eigenen überhöhten Ansprüchen nicht gewachsen war und schließlich daran zerbrach. Und der sich sehenden Auges in eine Sackgassensituation hineinmanövrierte und irgendwann seinen niederen Instinkten nichts mehr entgegensetzen wollte.
Seine Frau hat sich ihren ehelichen Problemen nicht gestellt, sondern stets einen Grund gefunden, ihren Mann gewähren zu lassen. Ausblenden und verdrängen ist eben bequemer als die Konfrontation mit der Wahrheit, die unbequem ist und viele Probleme und wenig Hoffnung macht. Doch die schlimmste Strafe ist für Elisabeth Rawski das Alleingelassenwerden. Das Alleinsein.
»Die Einsamkeit ist furchtbar, einfach niemand zu haben, nicht einmal mit jemand reden zu können. Am liebsten würde ich meinen Mann wiederhaben wollen, aber ohne die Morde und das alles. Aber mit dem Wissen, das ich jetzt habe, darf er mir gar nicht fehlen. Es vergeht keine Stunde, in der ich nicht an ihn denken muss. Er ist ständig in meinem Kopf. Natürlich fehlt mir auch meine Familie. Überhaupt menschliche Nähe.«
Die Gerichtsverhandlung beginnt unter massiven Sicherheitsvorkehrungen, das Medieninteresse ist groß. Die Staatsanwaltschaft sieht in dem Angeklagten »eine Gefahr für die Sicherheit«, Franz Rawski habe »einen Hang zu erheblichen Straftaten«. Als Motiv nehmen die Anklagevertreter Rache an, weil der mutmaßliche Serienmörder sich vor Jahren mit dem HI-Virus angesteckt habe. Franz Rawski selbst gibt den interessierten, stoischen Zuhörer und schweigt auch diesmal.
Zunächst wollte seine Frau ihn schonen. Denn am Anfang, als er verhaftet wurde, da waren noch Gefühle in ihr – für ihn. Später war es mehr Loyalität, unterhalten von der Vorstellung, dem eigenen Ehemann verpflichtet zu sein: in guten wie in schlechten Zeiten. Für Elisabeth Rawski sind das nicht nur Lippenbekenntnisse, sondern unverrückbare Maximen ihres Handelns. Eigentlich.
Doch je mehr sie über ihren Mann erfuhr, desto fremder wurde er ihr, desto tiefer bohrte sich der Stachel der Enttäuschung in ihre Seele. Jetzt also will sie vor Gericht aussagen, reinen Tisch machen und mit Vorurteilen aufräumen. Doch es kommt erst einmal anders als erwartet.
»Ich saß da vorne und kriegte ein Ding nach dem anderen über meinen Mann gesagt, was ich bis dahin gar nicht wusste. Ich saß da wie betäubt. Alles zog an mir vorbei, weil ich dachte, das kann doch nicht wahr sein. Ich dachte: Das kann nicht sein, das geht nicht, das geht schon zeitlich gar nicht. Da stimmt was nicht. Aber die Beweise waren erdrückend. Ich musste es dann glauben.«
Als Elisabeth Rawski aussagt, zeigt der sonst so kühl und unnahbar wirkende Angeklagte erstmals Reaktionen: Er schluchzt unentwegt, sein Verteidiger oder die Wachtmeister müssen ihm immer wieder die Nase putzen und die Augen trocknen, weil seine Hände gefesselt sind und zur Sicherheit aller in Spezialhandschuhen stecken, sogenannten Cuffbags. Auch die Füße sind aneinandergekettet. All die Fesseln signalisieren: Da sitzt jemand auf der Anklagebank, vor dem man sich fürchten muss, der gemeingefährlich ist. Da sitzt aber auch jemand, der sich selbst gefährden könnte – Franz Rawski hat während der Inhaftierung zwei Suizidversuche überlebt.
»Ich hörte immer, wie er flehte: ›Täubchen, schau mich doch mal an. Täubchen.‹ Ich schüttelte immer den Kopf und versuchte nur, jetzt bloß nicht zu heulen. Ich versuchte nur, die Zeit rumzukriegen und die Fragen zu beantworten, so gut ich konnte; dass es vorbeigeht, dass
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