Killerinstinkt: Serienmördern auf der Spur (German Edition)
getötet hat. In diesem Kontext verdient ein Aspekt besondere Erwähnung, der während der Gerichtsverhandlung nicht erörtert wurde: Habgier. Den Überfall in Rottweil könnte Rawski verübt haben, um das Opfer zu berauben. Worauf genau es Franz Rawski abgesehen hatte, erscheint mir unerheblich. Vermutlich wollte er in erster Linie an den VW Touareg gelangen, um mit diesem Wagen später einen Banküberfall verüben zu können. Dazu passen die im Kofferraum seines Saab gefundenen Utensilien, besonders der Drohzettel: »Das ist ein Überfall«. Auch spielt es keine entscheidende Rolle, ob Franz Rawski zuvor geplant hat, sein Überfallopfer zu töten.
Und wie verhält es sich mit dem Motiv Habgier bei den Morden? Es fällt zunächst auf, dass Franz Rawski sich zum Zeitpunkt der Taten in großen finanziellen Schwierigkeiten befand, die er als sehr bedrohlich empfunden haben dürfte. Jemand, der so über seine Verhältnisse lebte wie er, musste damit rechnen, dass er sich bald würde offenbaren müssen, auch seiner Frau gegenüber. Und um diesen existenzbedrohenden Super-GAU zu vermeiden, könnte ihm jedes Mittel recht gewesen sein, auch Mord.
Habgier erscheint demnach als durchaus plausibles Motiv, das sich ohne weiteres in die verfahrene Lebenssituation des Täters einbetten lässt. Möglicherweise ist Franz Rawski auch davon ausgegangen, bei Cruisern mit Sicherheit an Bargeld, Kreditkarten, Schmuck oder andere Wertgegenstände zu gelangen, weil er bei anderen Gelegenheiten entsprechende Erfahrungen gemacht hatte. Vielleicht ging es ihm aber auch nur um die Fahrzeuge der Betroffenen. Und weil ihm die sonstigen Rahmenbedingungen günstig erschienen, wurden schließlich Homosexuelle seine Opfer.
Die Sache hat nur einen Haken: Die Getöteten wurden nicht beraubt. Oder wurde Franz Rawski bei der Tatausführung durch plötzlich auftauchende Autofahrer oder Passanten gestört und musste flüchten, ohne sich bereichern zu können? Gegen diese Annahme spricht jedoch der Umstand, dass die Bekleidung von Wilhelm Lohr mitgenommen wurde. Hätte Franz Rawski den Tatort Hals über Kopf verlassen müssen, wäre ihm kaum ausreichend Zeit geblieben, die Kleidung des Opfers vollständig an sich zu nehmen. Zudem hat er versucht, den Leichnam mit Erde und Laub zu verbergen. Auch dieses Verhalten spricht eher gegen ein überhastetes Täterhandeln.
Unter dem Strich bleibt Habgier trotz der beschriebenen Widersprüche und Unwägbarkeiten ein schlüssiges und den Lebensumständen des Täters entsprechendes Motiv, nur lässt sich diese Annahme nicht beweisen. Und der Raubüberfall in Rottweil allein reicht nicht aus, um das dort verfolgte Motiv auf die Morde unbesehen übertragen zu können.
Nach mehr als zwanzig Jahren Forschung im Bereich des Serienmordes und vielen Gesprächen mit den Tätern bin ich der festen Überzeugung: Das Motiv für Franz Rawskis Taten dürfte insbesondere aus seinen Lebensumständen herzuleiten sein, denn die Art und Weise, in der er gemordet hat, ist in der deutschen Kriminalgeschichte bisher einzigartig und kann deshalb nicht mit anderen Serienmorden verglichen werden, um so zu motivrelevanten Schlussfolgerungen zu gelangen.
Franz Rawski ist ein psychopathischer Einzelgänger, der Mitmenschen in seinem Sinne zu manipulieren weiß und persönliche Bedürfnisse über alles andere stellt: Ich bin die Welt. Ein narzisstischer Täter, privat und beruflich gescheitert, der sein Omnipotenzverlangen rücksichtslos ausgelebt hat. Und er ist jemand, der von sich glaubt, über den Dingen zu stehen und sich alles herausnehmen zu dürfen, natürlich vornehmlich auf Kosten anderer, denen er blindlings auch die Schuld für eigenes Versagen zuschreibt.
Als Franz Rawski sich schließlich in einer Situation befand, die ihm aussichtslos erschien, und er um seine soziale Existenz fürchten musste, könnte er die Wut über die eigene Unzulänglichkeit auf seine homosexuellen Opfer projiziert haben. Denn in diesem Milieu hatte er höchstwahrscheinlich auch einen beträchtlichen Teil des Vermögens seiner Frau durchgebracht und war mittellos geworden. Der Mann war ruiniert, am Ende. Und nun brauchte er einen Sündenbock, um sich nicht selbst in Frage stellen zu müssen. Insofern erscheint es mir naheliegend, dass Franz Rawski sich homosexuelle Männer als Opfer ausgesucht hat, weil er sie in Verkennung der Realität als Gegner und Verursacher betrachtete, die maßgeblich zu seinem finanziellen Desaster beigetragen hatten und
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