Killerinstinkt: Serienmördern auf der Spur (German Edition)
Ich kann dir gar nicht mehr beschreiben, was ich damals wirklich von mir gedacht habe. Ich dachte, ich muss diese Welt verlassen, um das alles aus der Welt zu schaffen. Ich war damals hoch selbstmordgefährdet, ohne das jetzt dramatisieren zu wollen. Im Grunde habe ich mich mit jeder Tat ein Stück weit selbst getötet. Das war mir damals so aber nicht klar.«
»Also, das Problem, das ich momentan bei dir sehe, ist: Wenn du in eine sehr negative Richtung gehst, wirst du sehr unkonkret. Du siehst jemanden, der du nicht sein willst. Genau dann hast du Probleme, dich zu erinnern. Aber wenn es sich ins Positive dreht oder die Sache irgendwie neutral wird, dann wirst du plötzlich wieder sehr konkret. Spürst du das?«
»Ja. Gerade an bestimmte Situationen habe ich keine Erinnerung mehr, die sind weg.«
»Ich vermute, dass du die besonders belastenden Dinge tief in deinem Bewusstsein vergraben hast und dort auch belassen möchtest …«
»Das vermute ich auch. Ich versuche ja, mich daran zu erinnern; eben herauszufinden, wieso ich überhaupt fähig war, so etwas zu tun. Nur viele Dinge sind hinter einem Schleier verborgen. Diesen Schleier krieg ich nicht weg.«
»Vielleicht willst du den ja gar nicht wegkriegen.«
»Doch, ich will den wegkriegen.« Thomas Bracht wird sehr nachdenklich. »Ansonsten würden wir jetzt nicht miteinander reden, wenn ich das nicht wollen würde. Ich will diesen Schleier loswerden, aber das klappt einfach nicht. Ich finde keinen Anfang, und ich finde auch nicht das Ende. Irgendwo muss doch ein Eingang sein, und ich denke, dass ich ihn auch irgendwann finden werde.«
Ich kann nicht ausschließen, dass Thomas Bracht mich instrumentalisiert, um seine seelischen Nöte zu lindern, ohne sich aber dem Kern des damaligen Geschehens nähern zu wollen. Deshalb spreche ich diesen Punkt jetzt an.
»Kann es sein, dass du mich für deine Zwecke benutzt? Dass du innerlich wieder ein Stück gewachsen bist, etwas Verlorenes zurückerobert hast, wenn das Gespräch beendet ist?«
»Ob ich da größer werden will, weiß ich gar nicht. Ich bin groß genug. Ich versuche es ja. Nur dieser Schleier, der hängt da wie …«
»Ist das der Strohhalm, an den du dich klammerst?«
»Nee. Das ist nicht mein Strohhalm. Dieser Schleier stört mich ja selber. Ich will wirklich wissen, wieso und weshalb wir jetzt hier in so einem Gespräch sitzen. Aber ich kriege den Schleier einfach nicht weg.«
»Du könntest es dir doch auch einfacher machen und die Vergangenheit ruhen lassen …«
»Das habe ich schon probiert, aber es bringt nichts. Die Vergangenheit werde ich so nicht los.«
Thomas Bracht ist noch nicht so weit. Es wird noch Zeit brauchen, bevor er – wenn überhaupt – den Abgrund in sich freigibt. Deshalb spreche ich ihn auf einen anderen Aspekt an, der mir wichtig erscheint.
»Du hast ein Mal getötet, und dann immer wieder. Warum wirst du es nicht noch einmal tun?«
»Ich glaube schon, dass es zu Rückfällen bei Tätern kommen kann, die meinetwegen des Geldes wegen getötet haben. Aber jemand wie ich, der in einer besonderen Situation war, in so einem Kreislauf dringesteckt hat, ohne es wirklich bewusst zu tun, der aus einer Situation heraus getötet hat, da liegen die Dinge anders.«
»Inwiefern anders?«
»Ich habe diesen Kreislauf durchbrochen. Deshalb werde ich so was nie wieder tun. Ich habe ein System gefunden, um mit solchen kritischen Situationen, in die man immer mal wieder kommen kann, umzugehen.«
»Und das sieht wie aus?«
»Ich bin ein tiefgläubiger Mensch geworden und weiß, wenn ich noch einmal in eine solche Situation geraten sollte, dann werde ich Hilfe bekommen, diese Situation zu meistern. Ich habe auch gelernt, mich in solchen Momenten zurückzuziehen, und es gibt jetzt Menschen, mit denen ich dann darüber reden kann. Deshalb bin ich überzeugt, dass es nie mehr so weit kommen würde, dass ich jemandem körperlichen Schaden zufüge.«
»Was unterscheidet den Thomas Bracht, der mir jetzt gegenübersitzt, von jenem Thomas Bracht, der vor vielen Jahren Patienten getötet hat?«
»Vor den Taten konnte ich nicht über mich und meine Befindlichkeiten reden. Obwohl ich es immer gerne gewollt hätte, ich war dazu aber nicht in der Lage. Vor den Taten hätten wir so ein Gespräch niemals führen können, da wäre ich nämlich schon weg gewesen.«
»Und das ist heute anders?«
»Heute stelle ich mich diesen Fragen und versuche selbst herauszufinden, warum das alles passiert ist.
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