Killerinstinkt: Serienmördern auf der Spur (German Edition)
Mohn am Grab seines Sohnes steht: der Blick ins Leere gehend, die Hände gefaltet, in Gedanken bei Tobias. In diesen Momenten höchster Intensität und größter Intimität habe ich Mühe, meine Tränen zurückzuhalten. Mich beschleicht eine Ahnung, was es bedeutet, sein eigenes Kind zu verlieren. Und als dreifachem Vater macht mir diese dunkle Vorstellung Angst.
Am Ende unserer Reise in die Vergangenheit bin auch ich überzeugt, dass man nach einem Täter suchen sollte, der aus Norddeutschland stammt, allein lebt und sehr wahrscheinlich beruflich Umgang mit Kindern haben dürfte. Allerdings glaube ich nicht an einen besonders planvoll agierenden Täter, sondern sehe in ihm jemanden, der häufig auf Tour geht und seine Taten begeht, sobald sich eine günstige Gelegenheit ergibt. Auch halte ich es für unwahrscheinlich, dass der Serientäter bewusst zwischen jedem Mord drei Jahre hat verstreichen lassen. Vielmehr bezweifle ich den Zusammenhang bei allen fünf Tötungsdelikten, obwohl die Tatbegehungsweise tatsächlich in diese Richtung zu weisen scheint. Nur ist mir kein Serienmordfall bekannt, bei dem der Täter über einen längeren Zeitraum in nahezu gleichen Abständen gemordet hat. Und ich habe aus diesen Fällen und den Gesprächen mit den Tätern gelernt, dass der Tatzeitpunkt von vielen Komponenten abhängt, die vom Täter nur bedingt oder gar nicht beeinflusst werden können, so dass der Tatrhythmus mehr eine zufällige Ereigniskette darstellt, die von starker Unregelmäßigkeit gekennzeichnet wird.
Für den Umstand, dass nur fünf der insgesamt 41 Opfer getötet wurden, habe ich bei meinen Überlegungen eine Erklärung gefunden: Die Opfer, die schließlich getötet wurden, dürften für den Täter aus verschiedenen Gründen ein Risiko dargestellt haben. Entweder hat der »Maskenmann« in diesen Fällen unmaskiert gehandelt, weil er sich zu den Opfern besonders hingezogen fühlte – dies würde auch die Entführungen mit dem Pkw erklären, weil der Täter längere Zeit über die Jungen verfügen wollte –, oder aber der Mann fürchtet, sein Opfer könnte etwas beobachtet haben, das ihn später womöglich der Gefahr aussetzt, gefunden zu werden (z. B. spezielle Details an seinem Wagen oder gar sein Handy). Die Annahme, es könnte bei den Morden zu einer Eskalation gekommen sein, bezweifle ich schon deshalb, weil die Opfer keine entsprechenden Abwehrverletzungen aufwiesen, die bei einem solchen Verlauf zumindest in dem einen oder anderen Fall zu erwarten gewesen wären.
»Für mich war der Täter in all den Jahren eine eher dunkle Figur. Ein Psychopath, der keine Gefühle für seine Opfer hat, der sich überhaupt nicht klarmacht, was er den Kindern antut. Bei Tobias und den anderen Jungen muss der Todeskampf drei bis sieben Minuten gedauert haben, hat mir der Rechtsmediziner gesagt, weil gegen den Kehlkopf gedrückt worden war. Dann dauert das so lange. Und dem Typ war es auch vollkommen egal, was er damit den Angehörigen der Opfer antun würde. Für mich war der Mann Abschaum, dem jede menschliche Regung fremd war.«
Ich halte es für unwahrscheinlich, dass der »Maskenmann« auch die Taten in Rheine begangen haben könnte. Denn: In beiden Fällen hat der Täter nicht den Versuch unternommen, den weinenden beziehungsweise verängstigten Jungen zu beruhigen. Vielmehr hat er eine große Unsicherheit erkennen lassen, die gewöhnlich das Verhalten von Ersttätern prägt, und er hat jenes Einfühlungsvermögen vermissen lassen, das gerade den »schwarzen Mann« als kindererfahrenen und stressresistenten Täter kennzeichnet.
Im März 2010 wird der Kripo in Rheine neun Monate nach der Entführung des 10-jährigen Jungen in der Jugendherberge im Stadtzentrum und dem Überfall in einer nur wenige hundert Meter entfernten Wohnung mitgeteilt, dass es einen Treffer in der DNA-Datenbank gegeben hat: Als Spurenleger an beiden Tatorten konnte ein 29-jähriger Mann ermittelt werden. Auf die Schliche waren die Ermittler dem Täter durch biologische Spuren gekommen, die sich an der Kleidung des entführten Jungen befunden hatten. Im Rahmen der Ermittlungen waren mehr als 3300 Männer überprüft worden.
Natürlich wird auch die Soko »Kevin« über diesen Ermittlungserfolg informiert. Dort macht sich indes schnell Ernüchterung breit: Allein das Alter lässt den wegen Eigentums- und Drogendelikten vorbestraften Mann als Tatverdächtigen ausscheiden – er hätte den Mord an Tobias Mohn als 10-Jähriger begangen haben
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