Killerspiel
tief und fest, ohne etwas mitzubekommen.
Er wendet sich wieder dem Zimmer zu. An der Wand hängt eine Collage mit Korallenstücken und Seetang sowie einigen Muscheln. In der Dunkelheit sehen sie aus wie schwarze Tintenflecken auf dunklem Grund. Er fragt sich, wie lange es wohl her ist, dass Hazel Wilkins sie gestaltet hat, eine stille, ernste Hommage an die Umgebung, in der sie lebt, während eine inzwischen abgesetzte Fernsehserie im Hintergrund lief. Diese Dinge aus dem Meer, die einmal lebendig und stets in Bewegung waren, sind jetzt so still, dass sie das Grundprinzip des Wandels in Frage stellen, den ewigen Fluss aufzuheben scheinen und die Welt in eine endlose Abfolge gegenwärtiger Momente zersplittern.
Sie sind da.
Sie sind immer noch da.
Sie sind immer noch da.
Genau wie er. Er schließt die Augen, etwas schrillt ihm plötzlich durch den Kopf, und in das Getöse mischt sich Bewegung. Er lässt den Kopf nach vorn sinken und legt ihn in die Hände.
Er steht über der Gestalt auf dem Schlafzimmerboden. Hierhin ist sie gerannt. Er ist noch nicht sicher, was er jetzt mit allem anfangen soll. Er steigt über sie hinweg und geht zum Kleiderschrank, öffnet die Türen. Der Duft von Parfüm schlägt ihm entgegen, das sie an anderen Tagen getragen hat. Kleider, Blusen, Jacken hängen alle an einer Stange in Reih und Glied. Es sind so viele, dass die meisten sich gegenseitig berühren, doch es kommt ihm so vor, als könnten sie nicht weiter voneinander entfernt sein, wenn er jedes Stück in eine andere Stadt oder sogar in alle Welt tragen würde.
Er hat noch nie den Tod eines Menschen verschuldet – zumindest nicht so direkt. Ohne Hazel Wilkins könnte er sich sagen, alles liefe besser als geplant. Doch er hat dieser Frau eigenhändig das Genick gebrochen, und er fühlt sich deswegen mies.
Er dreht sich vom Kleiderschrank weg und tritt mit voller Wucht in ihre Leiche.
Er geht zur Kochnische hinüber und macht sich eine Tasse Instantkaffee. Er trinkt sie, steht dabei an der Tür zum Balkon, und doch weit genug davon entfernt, dass niemand – sollte er zufällig in seine Richtung sehen – mehr als nur Schatten erkennen kann. Es ist kalt in der Wohnung. Die Leiche im Schlafzimmer wird sich höchstwahrscheinlich ein paar Tage lang nicht bemerkbar machen, und bis dahin, so hofft er, wird alles erledigt sein. Allerdings weiß Hunter nicht, wie oft das Dienstmädchen kommt. Gut möglich, dass morgen pünktlich um acht Uhr eine schlechtbezahlte Mexikanerin die Tür zu dieser Wohnung öffnet. Ihre Reaktion auf eine Leiche würde bestimmt nicht verhalten ausfallen.
Es hat nicht lange gedauert, bis Hunter herausfand, wieso Warner ihm Phil Wilkins’ Namen gegeben hatte. Teils, weil die eigentliche Zielperson bereits außer Reichweite war, aber auch, weil Warner hoffte, dass eine Konfrontation zwischen Wilkins’ Witwe und Hunter diejenigen aufschrecken würde, die Hunter auf den Plan gerufen haben. Mit anderen Worten war er bereit, Hazel zu opfern.
Leider hatte Warner recht – oder würde recht behalten, wenn ans Licht kam, was an jenem Nachmittag in dieser Wohnung geschehen ist.
Es überrascht Hunter nicht, dass Warner bereit war, jemanden zu opfern, und er ist es Hazel Wilkins schuldig, dafür zu sorgen, dass durch ihren Tod nicht der Plan eines anderen Menschen aufgeht. Er kann nicht zulassen, dass ihr Tod David Warners Signatur trägt und ihm zugutekommt. Und so muss Hunter sich etwas einfallen lassen, um ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen.
Das heißt, er muss ihre Leiche wegschaffen.
Doch zuerst muss er nachsehen, ob hier in der Wohnung irgendetwas ist, das ihm weiterhilft.
Schon bald wird deutlich, dass diese Frau den Großteil ihrer Sachen nicht hier in der Wohnung aufbewahrt. Entweder hat sie sich irgendwann einmal von vielem getrennt, oder sie hat es anderswo verstaut.
Er sieht auf den Regalen, in den Schubladen, den Schränken nach. Er findet nichts weiter als das große, gerahmte Foto von ihr und Phil, auf dem sie an einem längst vergangenen, sonnigen Nachmittag hier auf diesem Balkon, ihre Cocktails in der Hand, in die Kamera grinsen. Er hat das Bild bei seinem letzten Besuch gesehen. Er hat Phil Wilkins darauf wiedererkannt, als jemanden, den er, wenn auch nicht gerade für einen Freund, so doch für mehr als einen flüchtigen Bekannten gehalten hatte. Aus dem Gespräch mit der Witwe hat er unter anderem die Erkenntnis gewonnen, dass dies eine Lüge gewesen war, und sei
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