Killing Beauties: Thriller (German Edition)
dachte, er würde noch schlafen. Auf diese Weise musste sich keiner verpflichtet fühlen, Konversation zu betreiben. Schon von Anfang an war ihre Beziehung zueinander angespannt gewesen, und jetzt war sie das mehr denn je.
Judd stöhnte leise.
Beziehung? Konnte man das, was zwischen ihnen bestand, eine Beziehung nennen? Sie waren weder Freunde noch Geliebte. Genauso wenig waren sie Feinde. Aber wenn er total ehrlich zu sich war, musste er zugeben, dass er Lindsay nicht selten hasste. Sie hatte seinen Hass nicht verdient; sie hatte nichts getan, was eine solche extreme Reaktion von ihm gerechtfertigt hätte. Für einen Mann, dessen Emotionen so gut wie tot waren, beunruhigte ihn allein die Tatsache, dass Lindsay überhaupt ein Gefühl in ihm hervorrufen konnte, zutiefst.
Jeder neue Mord – mittlerweile waren es neunundzwanzig, von denen sie wussten – lenkte seine Gedanken auf jene ersten Wochen nach dem Tod seiner Frau zurück. Letzte Nacht in dem Motel in Williamstown hatte er keine Ruhe finden können, so sehr hatten ihn die Erinnerungen an Jennifer gequält.
Und die Gedanken an Lindsay.
Jawohl, Gedanken an Lindsay McAllister.
Er hatte beinahe vier Jahre damit verbracht, sich einzureden, dass er so reagierte, weil Lindsay von Anfang an mit dem Mordfall befasst gewesen war und er die Erinnerungen an jene ersten schrecklichen Tage, Wochen und Monate mit ihr in Verbindung brachte. Lindsay hatte damals mit dem leitenden Beamten zusammengearbeitet.
Lindsay war am Tatort gewesen, als er hereingeplatzt war wie ein Wahnsinniger. Für ihn war jener Abend gewesen wie ein verschwommener Alptraum, noch heute konnte er das Gewicht von Jennys schlankem Körper spüren, als er auf dem Fußboden gesessen und sie in den Armen gehalten hatte. Keine Zeit der Welt würde dafür ausreichen, diese blutige Szene aus seinem Gedächtnis zu streichen. Jennys Hände, die neben ihr lagen, ihre perfekt manikürten, leuchtend korallenfarbenen Nägel. Er hatte ihre Hände geliebt, diese langen Finger, die mit einer solchen Fertigkeit über die Klaviertasten strichen.
Seltsam, dass er jetzt an sie denken konnte, sogar an ihre brutale Ermordung, ohne einen Knoten im Magen oder einen Klumpen in der Kehle zu verspüren. Seltsam, dass Jennifer, obwohl er sie wie wahnsinnig geliebt hatte, jetzt so gut wie nichts mehr in ihm anrührte. Er empfand nur eine unbestimmte Taubheit. Und ein gelegentliches Aufflackern bittersüßer Erinnerungen. Noch seltsamer aber war die Tatsache, dass die einzige Person, ganz gleich, ob tot oder lebendig, die ihn überhaupt etwas empfinden ließ, Lindsay war.
Damals, in jenen ersten Tagen, war sie beinahe die ganze Zeit zugegen gewesen. Bei Jennifers Beerdigung, bei ihm zu Hause, auf dem Polizeipräsidium, wo er wiederholt vernommen worden war. Immer im Hintergrund, immer zusammen mit Lieutenant Dan Blake. Er war sich ihrer Anwesenheit stets bewusst gewesen, nicht mehr … bis ungefähr einen Monat nach dem Tod seiner Frau, als er wieder einmal aufs Polizeipräsidium gebeten worden war. Sein Anwalt hatte ihm erklärt, dass der Ehemann immer zu den Verdächtigen zählte. Da er selbst Anwalt war, hatte sein Verstand die Gründe hinter einem solchen Verdacht erfasst; da er aber auch ein trauernder Witwer war, vor Kummer halb von Sinnen, hatte er nicht begreifen können, wie irgendjemand zu der Annahme kam, er hätte seiner schönen Jennifer auch nur ein Haar krümmen können. Er hatte sie angebetet, verehrt, wie wahnsinnig geliebt. Und trotzdem stellte die Polizei noch Wochen nach ihrer Ermordung Fragen an ihn. Im Rückblick erkannte er, dass der Grund dafür ihre Verzweiflung darüber gewesen war, keinerlei andere Verdächtige zu haben, einzig und allein den unbekannten »Kunden«, den niemand gesehen und den Jennifer vermutlich an besagtem Abend getroffen hatte.
Während der letzten Vernehmung hatte er Lindsay zum ersten Mal wirklich wahrgenommen. Nicht als Lieutenant Blakes Schatten, nicht nur als irgendeine Frau, an deren Gesicht er sich kaum erinnern konnte, sondern als Person.
Er hatte während der ganzen Wochen keine Nacht durchgeschlafen, nicht seit Jennys Tod vor über einem Monat, und jeden Morgen entpuppte sich das Aufwachen als reine Qual. Wenn er sich nicht an ihr Lächeln erinnerte, an ihr Lachen, das Gefühl ihres Körpers, der neben ihm lag, rief er sich ihr Bild vor Augen, wie sie im Tod ausgesehen hatte, wie ihre Arme über ihren Kopf gebunden waren, die Hände abgehackt. In manchen Nächten
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