Killing time
Südstaatenakzent.
»Sie meint dich.« Sein Freund Marcus knuffte ihm unsanft in die Rippen.
»Was?«
Sie krümmte den Zeigefinger und winkte ihn damit zu sich heran. Er machte sich beinahe in die Hosen.
»Komm her, du kleiner Dummkopf«, sagte sie.
Ungelenk wie eine Roboter stakste er auf sie zu.
»Kannst du noch nicht mal hallo sagen?« Als sie ihn anlächelte, drehte sein Herz vollkommen durch.
»Hallo«, krächzte er atemlos.
Sie kicherte. »Wir haben beide als Nächstes Geschichte bei Mr. Higgins. Trägst du meine Bücher für mich?«
»Ich darf deine Bücher tragen?«
Sie klimperte mit ihren langen, schwarzen Wimpern. »Natürlich darfst du, sonst würde ich dich doch nicht fragen.«
Ungeschickt versuchte er, ihre Bücher auf seine eigenen zu stapeln, und ließ dabei sowohl ihre als auch seine fallen. Zitternd und mit hochrotem Kopf, ging er auf die Knie und sammelte alle Bücher wieder ein. Unterdes betete er zum Himmel, dass sie ihn nicht auslachen möge. Doch als er wieder aufstand, hakte sie sich mit ihrem schmalen Arm bei ihm ein und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.
Von dem Moment an war es um ihn geschehen. Er war ihr mit Leib und Seele verfallen, bereit, fortan alles zu tun, was sie von ihm verlangte.
Er kämpfte mit seinem Unterbewusstsein und wollte den Traum aufhören lassen, bevor er die tödliche Wendung erreichte.
Wach auf! Verflucht noch mal, wach auf!
Aber der Traum wollte nicht aufhören. Einer Flutwelle gleich, überrollten ihn die Erinnerungen und ertränkten ihn in Scham und Pein.
Ihr glockenhelles Lachen schrillte in seinen Ohren, dass er aufschrie, während er sich mit aller Kraft gegen die herzzerreißende Furcht wehrte. Schweißgebadet schlug er die Augen auf. Dann lag er in der Dunkelheit und lauschte seinem galoppierenden Herzschlag.
Lass die Vergangenheit ruhen. Denk an die Zukunft. Konzentriere dich auf die Frau, die vielleicht all deine Träume wahr macht.
Morgen werde ich ihr noch ein Geschenk zukommen lassen. Rosa Lippenstift und passenden Nagellack. Und ich werde sie zeichnen, diesmal zum Teil entkleidet.
Er seufzte, während all sein Denken von einer einzigen Vorstellung eingenommen wurde – von der, mit Abby zu schlafen.
[home]
21
A bby breitete alle Briefe, Zeichnungen und Geschenke auf ihrem Bett aus, stellte sich davor und betrachtete die Gaben ihres geheimnisvollen Bewunderers. Anfangs hatte sie sich geschmeichelt gefühlt und war sogar ein bisschen neugierig gewesen, wer sie wohl heimlich und aus der Ferne verehrte. Die Zeichnungen jedoch, die mit dem letzten Geschenk, einem goldenen Fußkettchen, angekommen waren, wirkten, milde ausgedrückt, beängstigend auf sie. Zwar hatte sie durchaus schon das eine oder andere etwas ausgefallenere Sexspielchen mitgemacht, aber von Sadomaso hielt sie eigentlich nichts – abgesehen von gelegentlichen harmlosen Schlägen, sofern sie nicht zu hart wurden. Auf jeden Fall konnte sie dieser Darstellung von sich als gequälter Sexsklavin nicht das Geringste abgewinnen. Sie blickte auf die drei Skizzen, die heute Nachmittag gekommen waren, und erschauderte. Auf einer war sie vollkommen nackt, und riesige Dildos steckten in ihrer Vagina und ihrem Anus. Ihr Gesichtsausdruck war einer von blanker Angst und furchtbarem Schmerz.
Ihr drehte sich der Magen um. Allein der Anblick dieser Federzeichnungen rief Übelkeit in ihr hervor. Das zweite Bild war nicht minder widerwärtig. Sie lag auf einem Flammenbett, den Mund zu einem stummen Schrei aufgerissen. Am beängstigendsten allerdings war das dritte Bild. Darauf war ihre Kehle aufgeschlitzt und Blut tropfte sowohl aus dieser Halswunde als auch aus ihren Brustwarzen.
Die Übelkeit übermannte sie in dem Moment, als es an der Tür läutete. Sie rannte ins Bad und übergab sich. Wie blöd war sie gewesen zu glauben, ihr geheimnisvoller Verehrer wäre einfach zu schüchtern, um sie direkt anzusprechen, oder hätte eine ausgeprägte romantische Ader, weshalb er sie auf diese Weise für sich gewinnen wollte! Sie hätte gleich darauf kommen müssen, dass ihr irgendein Irrer nachstellte, schon als sie das erste Geschenk fand.
Sie spülte sich gerade den Mund aus, als sie Ron hörte, der ihren Namen rief.
»Abby? Abby! Wo bist du? Ist alles in Ordnung?«
Nachdem sie sich das Gesicht abgetrocknet hatte, hängte sie das Handtuch über den Halter und ging aus dem Bad. Direkt vor der Tür stieß sie mit Ron zusammen, der sich selbst ins Haus gelassen hatte. Abby hatte ihm vor
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