Killing time
rufe den Captain an.«
Robyn wich zurück, nickte und wischte sich die Tränen ab. »Es geht schon wieder. Rufen Sie Jim an, und sagen Sie ihm, er soll so schnell wie möglich herkommen.«
Der laute Donner weckte ihn. Er schoss kerzengerade hoch und starrte auf den beleuchteten Digitalwecker neben seinem Bett. Zwei Uhr fünfundvierzig. Es war mitten in der Nacht, und dennoch könnte er ebenso gut aufstehen. Bei Gewitter konnte er ohnehin nicht schlafen. Also war es sinnlos, im Bett zu bleiben.
Er hörte, wie der Regen aufs Dach prasselte und gegen die Fensterscheiben trommelte. Gott, wie er dieses Geräusch hasste. Er saß in der Mitte seines Betts und hielt sich mit zitternden Händen die Ohren zu.
Ich werde mich nicht erinnern. Ich werde mich nicht erinnern.
Kämpf dagegen an. Lass die Erinnerungen nicht gewinnen. Zwing sie, dir aus dem Kopf zu gehen.
Leichter gesagt als getan.
Die Erinnerungen belagerten ihn, nahmen ihn ein und zogen ihn gegen seinen Willen in die Vergangenheit zurück.
Der Wetterbericht hatte Regen vorausgesagt, deshalb nahm er an jenem Tag einen Schirm mit in die Schule. Auf die Leighton ging er genauso ungern wie auf die staatliche Schule, die er vorher besucht hatte. Aber sein Onkel und seine Tante zahlten eine Menge Geld, damit er hierhergehen konnte. Daher tat er so, als wäre er mit ihrer Schulwahl zufrieden. Sie waren beide schon älter und hatten sich ihr Leben zu zweit längst beschaulich eingerichtet. Niemals hatten sie damit gerechnet, plötzlich ihren Großneffen, einen Teenager, im Haus zu haben, nachdem dessen Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren.
Während der ersten Monate an der neuen Schule schien ihn niemand zu mögen. Dann lernte er die Jungen aus dem Debattierclub kennen, die, wie er, nebenher Kunstkurse belegten. Zwar konnte er sie nicht direkt seine Freunde nennen, aber zumindest fühlte er sich in ihrer Gesellschaft nicht so einsam, denn sie waren wie er. Die beliebten Schüler jedoch lehnten ihn ab. Einige der Sportskanonen nannten ihn
vieräugiger Freak
und
Eierkopf.
Und die Mädchen lachten über ihn, weil er so dünn und so toll patschig war.
Eines Tages allerdings hatte sich für ihn alles geändert, denn da hatte Heather Stevens ihn angelächelt und hallo zu ihm gesagt. Beinahe wäre er auf der Stelle tot umgefallen. Heather war das schönste Mädchen auf der ganzen weiten Welt und das beliebteste an der Leighton. Er hatte gehört, dass sie mit dem Jahrgangssprecher aus dem Jahr über ihnen, Blake Powers, Schluss gemacht hatte, und jeder Junge auf der Schule war ganz wild darauf, dessen Nachfolge anzutreten.
Heather gehörte einer Elitegruppe der jüngeren Schülerinnen an – sämtlich umwerfend hübsche Brünette –, die sich selbst die
Zobel-Mädchen
nannten. Der Club bestand nur aus vier Mädchen – Heather, Shannon Elmore, Sara Hayes und Courtney Pettus. Er hatte gehört, dass sich die Gruppe erst vor kurzem formiert hatte, und es ging das Gerücht, dass jedes der Mädchen eine Aufnahmeprüfung zu bestehen hätte, die Heather vorgab. Die
Zobel-Mädchen
wurden von allen anderen Mädchen beneidet und waren
der
feuchte Traum eines jeden Jungen. Ehe Heather anfing, mit ihm zu reden und so nett und freundlich zu sein, hatte sie sich stets zickig und versnobt ihm gegenüber verhalten. Natürlich hielt ihn das nicht davon ab, sie ebenso anzubeten wie alle anderen Jungen.
An jedem Tag der letzten Woche hatte sie ihn angelächelt und gegrüßt. Und am Montag dann war sie sogar auf dem Flur stehen geblieben und hatte ihn angesprochen.
»Na, hast du eine Freundin?«, hatte sie gefragt.
»Nein, äh … nein, hab ich nicht.«
»Gut zu wissen.«
Kichernd war sie weitergegangen, hatte sich zu ihm umgedreht und ihm einen Kuss zugeworfen. Darauf hatte er prompt einen Steifen bekommen.
Am Dienstag hatte sie ihn gefragt, ob er ihre Bücher zu einem Kurs tragen wollte, in dem sie beide waren – amerikanische Geschichte. Er war vollkommen perplex gewesen, wenn auch geistesgegenwärtig genug, ihr sofort ihre Bücher abzunehmen, die er in seiner Nervosität allerdings gleich wieder hatte fallen lassen. Sie war neben ihm her den Flur entlanggegangen und hatte dabei in einem fort anderen Schülern zugewunken oder mit ihnen geplaudert. An dem Tag hatte er sich gefühlt, als wäre er drei Meter groß.
Mittwochs hatte sie sich in der Cafeteria zu ihm gesetzt und ihn so nervös gemacht, dass er keinen Bissen herunterbekam. Die meiste Zeit hatte
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