Killing time
Menschenseele weiterzuerzählen?«
Amanda kicherte. »Großes Ehrenwort.«
»Es ist Brandon Kelley, der Kunstlehrer am College.«
»Und seit wann läuft das? Wann hattet ihr euer erstes Date? Einzelheiten, Kindchen, ich will sämtliche Einzelheiten.«
»Pass auf, ich erzähle dir alles nach dem Mittagessen, wenn Mama ihr Nickerchen macht und die Männer mit den Kindern draußen sind. Fürs Erste werde ich dir nur so viel sagen: Er ist sehr romantisch.«
Amanda ließ Thomasina gehen, ohne weitere Fragen zu stellen, da hier auf dem Kirchengelände zu viele Leute mithören könnten. Drei Viertel der Gemeinde waren noch vor der Kirche versammelt, um zu plaudern und den neuesten Klatsch auszutauschen, ehe sie nach Hause gingen.
Trotz der wolkenverhangenen Sonne herrschte eine unbarmherzige Julihitze, die durch die hohe Luftfeuchtigkeit umso drückender wurde. Auf dem Weg zu ihrem Wagen sprach Thomasina mit einem halben Dutzend Leuten und winkte Robyn und Bernie Granger zu, die mit ihren Eltern da waren. Sie würde wetten, dass Brenda Granger den Reverend schon als Ehemann für eine ihrer Töchter auserkoren hatte.
Als Thomasina bei ihrem Wagen ankam, stellte sie fest, dass sie in ihrer Eile vergessen hatte, die Türen zu verriegeln, bevor sie in die Kirche ging. Das war nicht weiter schlimm. In ihrem Auto gab es nichts, was einen Diebstahl lohnte, und wer wollte schon ihren alten Grand Am stehlen? Sie öffnete die Fahrertür, um rasch einzusteigen und die Klimaanlage schnellstmöglich anzustellen, erstarrte jedoch, als sie einen großen braunen Umschlag auf dem Fahrersitz entdeckte. Ihr Herz machte einen Hüpfer. War es ein weiteres Geschenk von Brandon? Sie nahm den Umschlag auf und stieg ein. Dann schloss sie die Tür, startete den Motor und schaltete die Klimaanlage an. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass niemand sie beobachtete, überlegte sie, ob sie den Umschlag jetzt öffnen sollte oder lieber warten, bis sie zu Hause war.
Warum warten, wenn sie unbeobachtet war? Gespannt und mit Schmetterlingen im Bauch öffnete sie den Umschlag. Als sie hineinblickte, sah sie einen Brief und einige Fotos. Schnappschüsse? Sie nahm den Brief heraus und machte ihn auf.
Ich liebe es, dich anzusehen. Du bist so wunderschön.
Thomasina seufzte, und ihr ganzer Körper bebte vor Freude. Mit zitternden Fingern angelte sie die Fotos aus dem Umschlag. Es waren drei Bilder von ihr. Eines zeigte sie vorm College, das zweite vor Robyns Fitnesscenter und das dritte gestern beim Betreten des Piggly-Wiggly-Supermarkts.
Ihr lief ein unangenehmer Schauer über den Rücken, als sie erkannte, dass er ihr gestern gefolgt sein musste. Er war ihr ganz nahe gewesen und hatte doch darauf geachtet, nicht von ihr bemerkt zu werden. Stellte er ihr nach? Auf einmal wurde ihre romantische Phantasie von Brandon Kelley, der sie mit Briefen und Geschenken umwarb, durch ein deutliches Unbehagen getrübt.
Du bist ja albern, sagte sie zu sich selbst. Immerhin bestand doch ein gewaltiger Unterschied zwischen dem geheimnisvollen Werben eines Mannes wie Brandon und irgendeinem Kerl, der ihr auf beängstigende Weise nachstellte. Und außerdem
wollte
sie doch, dass Brandon sie bemerkte. Sie wollte, dass er sich für sie interessierte und ihr vielleicht sogar folgte, wenn er sie zufällig irgendwo entdeckte.
Thomasina atmete tief durch und vertrieb alle negativen Gedanken aus ihrem Kopf. Möglicherweise unternahm Brandon morgen am College den nächsten Schritt und bat sie um eine Verabredung. Denn wie lange konnte er noch damit weitermachen, sie aus der Ferne zu bewundern, wo doch offensichtlich war, dass er sie gern aus der Nähe und sehr persönlich kennenlernenwollte?
Jim fühlte sich sehr merkwürdig, als er am Sonntag bei den Grangers eintraf, zumal offensichtlich alle außer ihm direkt aus dem Gottesdienst kamen. Alle waren noch in ihrer besten Sonntagsgarderobe. Reverend Matthew Donaldson trug Anzug und Krawatte. Raymond Long hatte sein Jackett abgelegt und trug darunter ein weißes Hemd und einen blau-grauen Schlips. Nur R. B. Granger sah halbwegs lässig aus, da er sich seines Jacketts und seiner Krawatte entledigt und die Hemdsärmel aufgekrempelt hatte. Ein Mann nach meinem Geschmack, dachte Jim. Verglichen mit den anderen, war er selbst in seiner khakifarbenen Leinenhose und einem hellblauen Poloshirt eindeutig zu lässig gekleidet. Allerdings trug er eigentlich niemals Anzüge, geschweige denn Krawatten, außer wenn er zu einer
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