Kim Schneyder
schaffen wir auch so«, zwinkert er mir dann listig zu.
Er faltet seine Hände zu einer Räuberleiter. »Ist doch für einen Feldwebel a.D. kein Problem. Was wiegen sie?«, erkundigt er sich dann vorsichtshalber.
Du meine Güte, jetzt kapier ich’s erst. Dieser Opi ist nicht doof, und seine Soldatenaugen a.D. haben anscheinend registriert, dass ihnen so ein Manöver so ganz nebenbei einen bequemen Einblick unter mein Jeansröckchen verschaffen könnte. Ganz spontan frage ich mich, ob sein Freund mit der ausgeborgten Leiter überhaupt jemals existiert hat.
Sei’s drum, denke ich mir dann, ich will unbedingt über diese verdammte Mauer, und ich bin schließlich auch nicht auf den Kopf gefallen und schummle daher sogar ein bisschen bei meinem Gewicht, damit er seinen Plan nicht aufgibt.
Als er mich dann über die Mauer hievt, macht er Geräusche, die nicht nur von Zufriedenheit über seine Aussichten zeugen, sondern eher vermuten lassen, dass er soeben auch seine Bandscheiben für die nächste Zeit außer Dienst gestellt hat.
»Alles in Ordnung bei Ihnen?«, frage ich, nachdem ich sicher auf der anderen Seite gelandet bin.
»Oumpfh«, meldet er in militärischer Kürze zurück.
Irgendwie tut er mir leid, aber ich nehme mal an, dass er es nach jahrzehntelangem Überlebenstraining auch noch bis zum nächsten Telefon schaffen wird, also halte ich mich nicht weiter mit ihm auf. Stattdessen schleiche ich mich lieber tief gebückt an das Haus heran, in dem Gerhard verschwunden ist. Zum Glück sind die Fenster niedrig genug, sodass man auch ohne Leiter hineingucken kann. Vorsichtig spähe ich durchs erste und sehe – gar nichts, von ein paar alten Möbeln und einem Klavier mal abgesehen. Dann nehme ich mir das nächste vor: Wieder nichts außer einer Menge nutzlosem Kitsch. Und schließlich beim dritten Fenster: Ein Haufen alter Möbel – das habe ich mittlerweile schon erwartet –, aber nicht nur das. In einem dieser alten Möbel sitzt nämlich Gerhard, und ihm gegenüber sitzt eine andere Person. Die ist kräftig, kahl und männlich, und soweit ich das beurteilen kann, denken die beiden gar nicht daran, miteinander Sex zu haben, sondern diskutieren angeregt über einem Stapel von Papieren, der vor ihnen auf dem Tisch liegt.
Eine Woge der Erleichterung kommt über mich. Wusst ich’s doch. Das ist eindeutig ein Klient von Gerhard, und er hat mich nicht belogen, sondern arbeitet wirklich hart, indem er die wichtigsten Kunden von Kessler, Lohmann & Partner sogar zu Hause besucht.
Ich bin ganz gerührt. Was für ein lieber, braver Mann das doch ist! Schlagartig überkommt mich das schlechte Gewissen, weil ich ihm misstraut habe, und beschämt ziehe ich mich mit der gebotenen Vorsicht zurück, um nur ja nicht entdeckt zu werden. Das Gartentor lässt sich von innen mühelos mittels Türdrücker öffnen. Ich marschiere zurück zu meinem Auto, lasse mich in den Sitz fallen und genieße dieses umwerfende Gefühl: Ich bin nicht betrogen worden! Seht mich nur an, ich bin eine glückliche Frau .
So, eigentlich könnte ich jetzt nach Hause fahren und ein gemütliches Bad nehmen. Ich will gerade den Zündschlüssel drehen, als sich völlig unerwartet dieser hartnäckige Virus in meinem Oberstübchen zurückmeldet: Natürlich, ich habe soeben die Bestätigung erhalten, dass Gerhard einen Klienten besucht hat. Aber was ist mit dem ganzen Rest des Tages? Wer sagt denn, dass er später nicht doch noch zu seiner hemmungslosen Geliebten fährt, als kleine Entspannung nach einem arbeitsreichen Tag?
Und schließlich habe ich ja auch genügend Zeit. Wo ich schon mal so gut in Fahrt bin, kann ich ihn ebenso gut auch für den Rest des Tages beschatten, nur um absolut sicherzugehen.
Also geht es wenig später weiter: Ich mit Sicherheitsabstand hinter Gerhards Wagen, wieder in einen fremden Garten, konsequenterweise über die Sandburg des dort ansässigen Sprösslings, dem ich bei der Gelegenheit beweise, dass bloßer Sand mit Wasser dem Gewicht einer Mitteleuropäerin keine Sekunde gewachsen ist, diesmal ganz ohne fremde Hilfe über einen weniger hohen Zaun, ran an die Fenster, und wieder dasselbe Bild wie vorhin: Gerhard neben irgendeinem belanglosen Typen, vertieft in Akten und Unterlagen. Gut so.
Eine Stunde später: Ich schon wieder in einem fremden Garten, mich heftig gegen einen Zwergpinscher wehrend, der mich zwar nicht beißt, sich dafür aber lustvoll an meinem Bein reibt, endlich auf das Grundstück meines Zielobjekts,
Weitere Kostenlose Bücher