Kim Schneyder
– und lege mich an der Zufahrtsstraße zu Kessler, Lohmann & Partner auf die Lauer.
Es dauert bis kurz nach zwei – ich habe Gerhard am Vorabend absolut unauffällig über seine Termine ausgehorcht, und er hat mir verraten, dass er heute um diese Zeit einen wichtigen Kunden besuchen muss –, bis er endlich losstartet. Ich hänge mich in echter Profimanier an ihn dran, wobei ich darauf achte, stets mindestens ein Fahrzeug zwischen ihm und mir zu lassen. Die bei Lenßen & Partner machen das zwar nie und werden trotzdem nicht entdeckt, ich will aber dennoch auf Nummer sicher gehen.
Gerhard fährt gemächlich Richtung Schwabing, stoppt schließlich vor einer alten, teuer wirkenden Villa und verschwindet dann mit seinem Aktenkoffer durch ein Tor in der Außenmauer, das sich wie durch Zauberhand öffnet und hinter ihm gleich wieder schließt.
Was für mich jetzt ein Problem darstellt.
Denn wie ich aus dem Fernsehen weiß, lassen sich Affären aller Art am besten dadurch aufdecken, dass man sich über den Garten an das betreffende Haus heranschleicht und durch ein Fenster späht, und meistens sieht man dann auch gleich, was die Schurken im Inneren so alles treiben. Eine erprobte Vorgehensweise also und absolut geeignet für meine Zwecke – wäre da nicht diese doofe Mauer. Wobei, sie ist nicht allzu hoch, fällt mir bei näherer Betrachtung auf, und mit einer Leiter oder Ähnlichem wäre sie durchaus zu überwinden. Mit einer kleinen Einschränkung: Straßenseitig geht das natürlich nicht, ohne die Aufmerksamkeit der Passanten zu erregen.
Ich denke also blitzschnell nach: Die Grundstücke der Häuser links und rechts der Villa sind nur mit Hecken eingegrenzt, und die sind eher niedrig. Und schon kommt mir die nächste zündende Idee: Wenn ich die Mauer schon nicht straßenseitig überwinden kann, dann könnte ich stattdessen doch auf eines der Nachbargrundstücke vordringen und mich von dort aus in aller Ruhe an die Überwindung der Mauer machen, nicht wahr?
Gesagt, getan. Die halbmeterhohe Hecke des Nachbarn zu überwinden, ist ein Kinderspiel, dann sehe ich mich nach einer Leiter um. Die finde ich zwar nicht, dafür aber den Nachbarn, oder besser gesagt, er mich, denn er ist gerade dabei, seine Rosen mittels Giftspritze von lästigem Getier zu befreien.
»Also, Fräulein, ich kann mich nicht darauf besinnen, dass Sie ein Mitglied dieses Haushalts wären«, sagt er in seltsam geschraubtem Tonfall, als er mich erblickt.
Er sieht aus wie ein aus alten Zeiten übrig gebliebener preußischer General, sicher an die siebzig, aber kerzengerade und rüstig, und seine stahlblauen Augen blitzen lustig unter dichten Augenbrauen hervor.
Der Schreck über meine Entdeckung fährt mir jäh in die Glieder, und ich ringe hastig nach einer Erklärung: »Oh … also … ich … das sieht jetzt sicher aus wie … äh …«
»Ich muss schon sagen, eine seltsame Sprache pflegt ihr jungen Leute heutzutage.« Er grinst verschmitzt, wodurch ich ein bisschen Zutrauen fasse.
»Ach, was soll’s«, nehme ich schnell all meinen Mut zusammen, dann erzähle ich ihm in aller Kürze, warum ich bei ihm eingedrungen bin. Er hört mir interessiert zu und beginnt dann nachdenklich den Kopf hin und her zu wiegen.
»Ich drücke Ihnen ja die Daumen, dass Ihr Kerl nicht in fremden Betten rumhopst, Fräulein, aber wenn ich’s mir recht überlege … die Tochter von denen da drüben«, er deutet mit gewichtiger Miene auf das Nachbargrundstück, »die ist schon ein flotter Feger.«
»Tatsächlich?«, sage ich atemlos. »Ja, könnten Sie mir dann vielleicht helfen, über diese Mauer zu kommen?« Ich setze einen wohldosierten Blick weiblicher Hilflosigkeit auf.
»Aber sicher doch«, nickt er.
»Vielen Dank, das ist wirklich nett von Ihnen. Hätten Sie vielleicht eine Leiter?«, schlage ich vor.
»Tut mir leid, eine Leiter hab ich nicht« Er macht eine entschuldigende Geste. »Die hat sich ein Freund ausgeborgt, ist schon ne Weile her, ich schätze mal, ein gutes Jahr.«
»Und wieso bringt er sie nicht wieder zurück?«
»Ihm ist was dazwischengekommen.«
»Dazwischengekommen? Ein ganzes Jahr lang?«, frage ich ungläubig.
»Ja, er ist gestorben«, nickt er.
»Oh, das tut mir aber leid«, sage ich mitfühlend. »Das war sicher ein großer Verlust für Sie.«
»Das können Sie laut sagen. War ne gute Leiter, ganz aus Alu, mit sieben Sprossen«, sagt er mit bewegter Stimme. »Aber machen Sie sich keinen Kopf deswegen, das Mäuerchen
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