Kim Schneyder
und: Gerhard, wieder in irgendwelche Unterlagen vertieft, diesmal zwar neben einer Frau sitzend, die jedoch in einem Alter, das vermuten lässt, dass sie soeben dem Testament der Dame den letzten Schliff verpassen.
Mittlerweile plagt mich schon mein Kreuz wegen der ewigen gebückten Herumschleicherei, und ich bin ganz knapp davor, aufzugeben und mir endgültig einzugestehen, dass mein Verdacht unbegründet gewesen ist und Gerhard seine Nachmittage mit nichts als harter Arbeit verbringt. Also beschließe ich, noch einen allerletzten Versuch zu starten, gleichsam als versöhnlichen Ausklang für meine erbarmungslose Menschenjagd.
Also noch einmal: Ich in Gerhards Windschatten bis zu einem Vorort, der jedoch mit den vorhergehenden in Sachen Eleganz nicht zu vergleichen ist. Schließlich stoppt er vor einem Haus, das man ohne Weiteres als schäbig bezeichnen kann. Okay, das wundert mich jetzt doch ein bisschen, denn was für einen Sinn macht es, wenn ein hochbezahlter Anwalt wie Gerhard sich zu irgendwelchen armen Schluckern nach Hause begibt? Und noch weniger passt dann ins Bild, dass Gerhard gar nicht in das Haus geht, vor dem er parkt, sondern in das übernächste, das im Übrigen auch nicht schöner ist als die anderen.
Das finde ich jetzt doch ein wenig merkwürdig. Ich fühle, wie sich ein nervöses Kribbeln in mir zu regen beginnt, aber dann schiebe ich hastig alle Befürchtungen beiseite, haben mich doch die Erfahrungen der letzten Tage gelehrt, nicht vorschnell zu urteilen, sondern mir erst mal Gewissheit zu verschaffen, indem ich mich erneut auf meinen Guerillapfad begebe.
Diesmal treffe ich in Nachbars Garten gleich auf die ganze Familie, die aus einem Mann und einer Frau besteht. Der Mann ist gerade dabei, eine Zehnerreihe Bratmaxe mit unverhohlener Zärtlichkeit auf seinem Grill hin- und herzuwenden, und an ihren Figuren kann man erkennen, dass sie gar keine Gäste brauchen, um die ganzen Würste zu verdrücken. Entsprechend feindselig gucken sie, als sie mich in gebückter Haltung heranschleichen sehen.
Um ihnen von vornherein die Sorge um ihre Nahrung zu nehmen, lasse ich mir schnell einen Trick einfallen: »Verzeihen Sie die Störung, aber bin ich hier richtig bei den Rottenbauers?«
Jetzt gucken sie gleich noch entgeisterter, aber wenigstens erkennen sie, dass ich ihnen nichts wegessen will, und der Mann sagt erleichtert: »Äh, nein, wir heißen Manninger. Ich bin der Franz, und das ist die Martha.«
So, jetzt heißt es schnell reagieren.
»Ach, wirklich … na dann, nichts für ungut, habe ich wohl das falsche Haus erwischt. Einen schönen Tag noch!«
Ehe sie etwas antworten können, bin ich auch schon wieder weg. Mit glühendem Gesicht nehme ich den Umweg über das Nachbargrundstück, und das ist glücklicherweise menschenleer.
Als ich endlich beim richtigen Fenster ankomme, gehe ich davon aus, wieder das vertraute Bild vor mir zu sehen: Gerhard mit irgendeiner fremden Person, vertieft in seine Akten.
So ist es dann auch, ich erblicke tatsächlich Gerhard mit einer fremden Person, und vertieft ist er auch, aber nicht in irgendwelche Akten, sondern in eben diese Person!
Der Schock trifft mich völlig unvorbereitet und mit brutaler Wucht.
Nachdem ich nahe dran gewesen war, Gerhard die endgültige Absolution in Sachen Treue zu erteilen, sehe ich ihn nun mit dieser anderen Frau. Und erst sein Gesichtsausdruck! Der ist ja völlig … verklärt, und leidenschaftlich, und derart voller Genuss, wie ich ihn überhaupt noch nie erlebt habe, nicht ein einziges Mal, seit ich mit ihm zusammen bin. Es kommt mir vor wie ein entsetzlicher Albtraum, aus dem man nicht erwachen kann. Ich möchte nicht hinsehen, aber gleichzeitig kann ich auch meinen Blick nicht abwenden.
Und dann kommt es gleich noch härter: Seine Gespielin dreht den Kopf, sodass ich ihr Gesicht sehen kann, und das gibt mir endgültig den Rest.
Diese Frau ist nämlich keine Nora von Kessler, kein Modeltyp, nach dem sich die Kerle reihenweise verzehren. Dieses Flittchen ist nicht einmal besonders hübsch, und auch ihr Körper ist allerhöchstens Mittelmaß!
Gerhard betrügt mich, aber nicht nur das, er betrügt mich auch noch mit einer Frau, die völlig unattraktiv ist, und dabei zieht er ein Gesicht, als unterzöge ihn Pamela Anderson höchstpersönlich einem Tauglichkeitstest für ihren neuen Lover.
Eine quälende Zeit lang kann ich mich gar nicht losreißen von dem unwürdigen Schauspiel, und auch dann, als es mir endlich gelingt,
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