Kim Schneyder
ihren Blicken wild entschlossene Verteidigungsbereitschaft.
Das Pärchen, das an der Reihe gewesen wäre, schaut empört, dann tritt der Mann an Sepia heran und beschwert sich auf Englisch, ohne dass ich den genauen Wortlaut verstehen kann. Einen Moment lang befürchte ich, Sepia könnte ihm an die Kehle springen oder etwas in der Art, doch sie beginnt nur wild mit den Händen herumzufuchteln und in einem völlig wirren Kauderwelsch drauflos zu schnattern: »Dawei, Dowarisch, Russki, Wodka, Igor, Molotow, dawei, dawei, Stalin, Trotzki, Stravinski, Wolga, dawei …«
Alle starren sie fassungslos an, und Sonja rammt mir den Ellbogen in die Seite. »Was zum Teufel sagt sie da?«
»Ich habe keine Ahnung«, schüttle ich einigermaßen entsetzt den Kopf. »Wir sollten wohl besser abhauen, bevor die uns …«
»Warte!« Sonja hält mich am Arm fest. »Sieh nur!«
Du meine Güte. Jetzt bemerke ich es auch. Während Sepia weiterhin unbekümmert wirres Zeug von sich gibt, beginnen die Leute langsam vor ihr zurückzuweichen wie vor einer unberechenbaren Irren. Sie gucken dabei zwar böse, aber keiner wagt es, ihr entgegenzutreten, und schließlich wenden sie sich unter heftigem Getuschel und finsteren Blicken ab.
»Na los, worauf wartet ihr? Setzt euch«, raunt sie uns zwischendurch zu, dann faselt sie wieder irgendetwas von Perestroika, Leningrad und Krimsekt.
Mit hochroten Köpfen hocken wir uns neben sie.
»Sepia, was zum Teufel war das denn?«, zischt Sonja.
»Na, was wohl?« Sepia zwinkert uns listig zu. »Ich mache auf russische Milliardärin, habt ihr das nicht geschnallt? Die sind doch bekannt dafür, dass sie sich überall vordrängeln, und trotzdem schmeißt sie keiner raus, weil sie so reich sind.«
»Russische Milliardärin?«, echoe ich ungläubig. »Dann sollte das also Russisch sein?«
»Ja, klar, was denn sonst?« Sepia strahlt uns an.
»Sepia, man spricht nicht Russisch, indem man mit rauer Stimme Wodka und Perestroika grölt«, weist Sonja sie zurecht.
»Das weiß ich auch«, nickt Sepia. »Aber es klingt zumindest so ähnlich, und wie ihr seht, hat es funktioniert, oder etwa nicht?«
Uns fällt keine passende Antwort darauf ein, deshalb nicken wir nur schwach. Und auf merkwürdig durchgeknallte Art hat sie ja auch recht. Wir haben immerhin den begehrten Platz, auch wenn die Leute wohl eher aus Respekt vor ihren breiten Schultern und den trainierten Armen nachgegeben haben, und weil sie wohl dachten, sie hätte nicht alle Tassen im Schrank. Bei Sepias Aussehen scheint so etwas zu funktionieren, mich dagegen hätten die anderen Gäste genommen und samt meinen neuen Guccis kurzerhand im Springbrunnen versenkt, da bin ich mir sicher.
Kaum haben wir unsere Sessel zurechtgerückt, als auch schon ein Kellner herbeigewieselt kommt. Er hat glatt gestriegelte Haare und aufgeweckte Augen, und mit erwartungsvollem Blick zückt er Stift und Block.
»Also gut, was nehmen wir?«, fragt Sonja.
»Ich weiß noch nicht. Gibt’s hier auch was zu essen?«, frage ich zurück.
Sonja müht sich ein paar Sätze lang mit ihrem Französisch ab, bis der Kellner sie erlöst, indem er ins Englische wechselt. Und interessant: Auch bei dieser Sprache scheinen Sonjas Lehrer besser gewesen zu sein als meine, denn ich kann ihrem Gespräch kaum folgen.
»Er sagt, warme Speisen gibt es abends nur hinten in der Brasserie, draußen hätten sie bloß Clubsandwiches«, übersetzt Sonja.
»Clubsandwiches? Was genau ist das?«
»Normalerweise Sandwiches mit allem Möglichem darauf, meistens mit einer kleinen Salatgarnitur.«
Okay, eine Riesenauswahl ist das nicht gerade. Bloß gut, dass ich während der Fahrt so viel gefuttert habe, wodurch sich mein Hunger jetzt in Grenzen hält.
»Also gut, dann probier ich das.«
Auch Sepia schließt sich mir an.
»Und was wollt ihr trinken?«, fragt Sonja.
»Ich nehme ein Bier, ich habe einen Mörderdurst«, sagt Sepia und verschränkt dabei die Arme vor der Brust, sodass ihre Muskeln deutlich zur Geltung kommen.
Das ist wieder mal so typisch. Sepia lässt wirklich nichts aus in Sachen Stillosigkeit. Ein Bier , hier in Monte Carlo, direkt vor dem Casino, im legendären Café de Paris, und womöglich noch in einer Dose, damit sie die hinterher auf ihrer eigenen Stirn zerquetschen kann. Also bitte!
Nur gut, dass ich über mehr Stil und Eleganz verfüge.
»Ich möchte Rotwein, aber nicht zu trocken«, erkläre ich in einem nonchalanten Tonfall. »Und eine Diät-Cola, ich bin auch etwas
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