Kim Schneyder
Mann. Nur gut, dass sie nichts von meiner babylonischen Zahlenverwirrung weiß, sonst würde sie mich ab sofort für ein verdorbenes Luder halten.
Jedenfalls bin ich jetzt der Star am Tisch, und mit einem Anflug von Selbstgefälligkeit registriere ich, dass alle nur auf meinen nächsten Einsatz warten.
Okay, Leute, das könnt ihr haben.
Dieser glückliche Auftakt hat mich zuversichtlich gestimmt, und eigentlich kann ich jetzt auch den Einsatz erhöhen, habe ich doch eine stattliche und noch dazu völlig unerwartete Spielbörse zur Verfügung.
Ich nehme also zwei größere Jetons, schiebe sie wieder über den Tisch und verkünde mit der Selbstsicherheit einer routinierten Spielerin erneut: »Quinze!« Die Zahl kenne ich wenigstens, und wie heißt es doch so schön: Never change a winning team – selbst wenn das in meinem Fall nur aus einer einzigen Zahl besteht.
Voller Genugtuung stelle ich fest, dass auch die anderen Spieler größtenteils auf die Fünfzehn setzen in der Hoffnung, an meinem Glück teilhaben zu können, und ich glaube leichte Unruhe bei den Croupiers zu verspüren. Sicher befürchten die jetzt, dass ein ganz unglaublicher Lauf vor mir liegt und ich drauf und dran bin, die Bank zu sprengen. Und ein absolut untrügliches Gefühl tief in mir drinnen sagt mir, dass sie damit recht haben könnten.
Und inzwischen habe ich mir auch schon eine geniale Taktik zurechtgelegt: Ich werde einfach weiter auf die Fünfzehn setzen! Nicht etwa, weil ich so naiv wäre zu glauben, dass diese Zahl gleich mehrere Male hintereinander kommen wird, aber die Logik sagt mir, dass sie doch irgendwann wieder kommen wird, und sobald das geschehen ist, werde ich meinen Einsatz neuerlich verdoppeln, denn dann kann ich mir das locker leisten.
Okay, Zeit für eine kleine Lagebeurteilung: Ich habe die nötige Spielbörse, ich habe die nötige Geduld, und ich habe die nötigen Nerven. Das Allerwichtigste aber: Ich verfüge auch über genügend Selbstbeherrschung, um zum richtigen Zeitpunkt aufzuhören. »Rien ne va plus« heißt es erneut, und die Kugel rollt wieder.
Ich schließe für eine Sekunde die Augen und gebe mich der wundervollen Vision hin, diesen Tisch schon bald als reiche Frau zu verlassen. Unwillkürlich entringt sich ein kleiner Seufzer meiner Brust.
Ach, was ist so ein Casino doch für eine segensreiche Erfindung …
»Wer auch immer dieses Casino gebaut hat, den müsste man erschießen!«, zische ich aufgebracht, als ich den nächsten Hunderter über den Tisch schiebe.
»Zu spät. Ich glaube nicht dass der noch lebt«, antwortet Sonja trocken.
Womit sie natürlich recht hat, und ich empfinde das in diesem Moment als ausgesprochen unfair.
Meine Taktik hat nämlich im Nachhinein betrachtet wohl doch ein paar kleine Schwächen gehabt. Zum Beispiel konnte niemand das Mörderpech erahnen, dass sich die Fünfzehn während der letzten halben Stunde so überaus hartnäckig geweigert hat, diese Kugel nochmals in ihren Schoß zu nehmen. Mit der unangenehmen Folge, dass ich inzwischen alles wieder verspielt und zu allem Überfluss gerade noch meinen letzten Hunderter hingeblättert habe.
»Und, wie läuft’s bei dir?«, frage ich, um davon abzulenken.
»Alles im grünen Bereich. Ich bin ausgeglichen, schätze ich«, gibt Sonja sich zufrieden.
Ich schiebe missmutig einen Jeton über den Tisch und sage trotzig »quinze«, und das entwürdigende Spiel beginnt von Neuem. Die anderen Mitspieler beachten mich jetzt gar nicht mehr. Sie haben inzwischen erkannt, dass mein erstes Spiel lediglich Anfängerglück war, und spielen wieder ihr eigenes Spiel – und zum Teil mit beachtlichem Erfolg, wie ich verwundert registriere.
Zum Beispiel diese distinguierte Dame schräg gegenüber. Die ist offenbar ein alter Hase in Sachen Glücksspiel. Sie setzt konstant auf unterschiedliche Zahlenkombinationen mit jeweils kleinen Einsätzen, und das scheint zu funktionieren, denn der Haufen vor ihr wächst und wächst.
Oder der liebenswerte Opi rechts von mir, der mir zwischendurch immer wieder aufmunternd zunickt. Der guckt so treuherzig, als bekäme er gar nichts mehr mit, insgeheim habe ich den Verdacht, man könnte ihm genauso gut einen Haufen bunte Smarties hinlegen und eine Kindertischdecke, auf die er die Dinger werfen kann. Und dennoch: Auch sein Jetonberg wird immer größer, ganz im Gegensatz zu meinem.
Und natürlich gibt es auch Gelegenheitsspieler, die kommen und gehen und bloß eben mal ein paar Jetons spielen und
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