Kind der Hölle
zurückzuholen, sofort ins Bett gegangen. Da ist er auch jetzt noch, scheint eine Erkältung erwischt zu haben. Wir hielten es für vernünftig, ihn heute nicht in die Schule gehen zu lassen. Aber ich sage ihm, daß er Sie anrufen soll, sobald es ihm etwas besser geht. Dann können Sie ihn fragen, was Sie wollen.«
Ray Beckwith schob sein Notizbuch wieder in die Tasche. »Ich glaube, das ist gar nicht nötig. Alle nötigen Informationen habe ich ja von Ihnen erhalten. Vermutlich hat jemand Ihren Hund geschnappt und ihn in Jakes Hütte für eine Voodoo-Zeremonie mißbraucht. Jemand, der einen Mordshaß auf Jake hatte …«
»Oder auf uns!« fiel Ted ihm ins Wort. »Vielleicht war es kein Zufall, daß ausgerechnet Scout daran glauben mußte!« Er schaute dem Sheriff tief in die Augen.
Mit gerunzelter Stirn überdachte Beckwith diese Worte und glaubte nach einer Weile zu verstehen, was Conway meinte. »Vater Mack?« murmelte er.
Conway zuckte wieder mit den Schultern. »Das haben Sie gesagt, Ray, nicht ich.«
Von Teds Augen ins Visier genommen, fragte der Sheriff sich plötzlich, warum er überhaupt hergekommen war. Er hätte Corinnes Drängen nicht nachgeben sollen, denn die Conways hatten mit dem Vandalismus zweifellos nichts zu tun, und er vergeudete hier nur seine Zeit. »Auf solche Täuschungsmanöver falle ich nicht herein, Mr. Conway«, versicherte er, schüttelte Ted die Hand und ging die Verandastufen hinab.
»Na?« fragte Corinne neugierig. »War es ihr Hund?«
Ray nickte. »Aber sie haben nichts mit der Sache zu tun, Baby. Der Hund ist letzte Nacht abgehauen, und der Junge lag krank im Bett. Da ist er auch jetzt noch.«
Corinne schürzte mißtrauisch die Lippen. »Hast du ihn gesehen?«
»Das war nicht nötig«, erwiderte Ray hitzig. »Du bist lange genug mit mir verheiratet, um wissen zu müssen, daß ich beurteilen kann, ob jemand mich belügt oder nicht. Ted Conway hat nicht gelogen.«
Corinne schaute zum Haus hinüber. Ted Conway stand immer noch auf der Veranda, und als ihre Blicke sich trafen, fühlte sie sich von einer Flutwelle puren Hasses überrollt.
Corinne Beckwith hatte mit einem Mal nur noch einen Wunsch: weg von hier!
So weit weg wie möglich.
35. Kapitel
Kim hörte während der ersten Unterrichtsstunde kaum ein Wort von Schwester Clarences Ausführungen. Sie schaute immer wieder aus dem Fenster, in der Hoffnung, Jared über den Platz auf die Schule zueilen zu sehen. Nach einer Weile begriff sie zwar, daß er nicht mehr kommen würde, konnte sich aber trotzdem nicht konzentrieren, denn auch mit Sandy Engstrom war etwas nicht in Ordnung. Ihre Freundin war zwei Minuten zu spät gekommen und hatte sich nicht wie sonst neben Kim gesetzt, sondern auf eine leere Bank ganz hinten im Klassenzimmer.
Schwester Clarence war verstummt, als Sandy den Raum betreten hatte, und Kim hatte befürchtet, daß die Nonne ihre Freundin sofort ins Direktorat schicken würde, statt dessen fragte sie nach einem ersten strengen Blick besorgt: »Sandra? Geht es dir nicht gut?«
Kim hatte Sandy noch nie so stark geschminkt gesehen, doch nicht einmal das Make-up konnte ihre Leichenblässe kaschieren.
»Es geht mir ausgezeichnet, Schwester Clarence«, antwortete sie so herausfordernd, daß Kim wieder mit dem Schlimmsten rechnete. Die ganze Klasse hielt den Atem an, aber erstaunlicherweise – kein Schüler konnte sich an so etwas erinnern – sagte die Lehrerin nur: »Das freut mich! Solltest du noch einmal zu spät kommen, werde ich es nicht durchgehen lassen!«
Kim warf ihrer Freundin immer wieder verstohlene Blicke zu, die jedoch kein einziges Mal erwidert wurden, und als es klingelte, stürmte Sandy zur Tür hinaus, bevor Kim ihre Bücher eingepackt hatte. Sie lief ihr auf dem überfüllten Korridor in Richtung der Schließfächer nach. Dort trafen sie sich gewöhnlich in allen Pausen.
Sandy war nirgends zu sehen.
Sandy war gestern nicht in der Kirche gewesen.
Sandy hatte sie gestern nicht angerufen.
Und heute morgen wollte sie offenbar nicht mit ihr reden.
Was hatte sie nur?
Und wo mochte sie sein?
Kim sah auf der großen Wanduhr, daß die Pause noch fünf Minuten dauerte, und so schob sie sich zwischen anderen Schülern hindurch nach draußen.
Sandy unterhielt sich auf dem Gehweg mit Luke Roberts. Die beiden Teenager verstummten, als Kim sich näherte.
»Was ist denn los, Sandy?« fragte Kim verunsichert.
Sandy drehte sich um. Ihre Augen schienen von einem Tag auf den anderen tief in die
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