Kind des Bösen: Psychothriller (German Edition)
eintraf.
Rückblickend vermute ich, dass Franklin gewusst hat, dass ich bei dem Mord dabei war, aber John und ich blieben bei unseren Versionen, so dass er uns nichts beweisen konnte. Warum habe ich gelogen? Ich bin mir immer noch nicht sicher, aber ich glaube, ich habe es für ihn getan – für John –, weil er es so bedingungslos selbst hatte tun wollen, ohne meine Hilfe. Er hatte mich unbedingt beschützen wollen, und ich hatte die Rolle übernommen, die mir zugedacht war. Es wäre sowieso bedeutungslos gewesen. Ich war noch nicht strafmündig. So wurde John verurteilt und für acht Jahre in eine Besserungsanstalt geschickt. Ich kam zu Pflegeeltern. Aufgrund des Medienrummels damals bekamen wir beide neue Identitäten, die uns nicht mehr als Brüder auswiesen.
Dennoch habe ich diesen Ausdruck in Franklins Augen nie vergessen. Als hätte er mir sagen wollen, wenn er mich ansah, dass er es in mir erkannte – etwas Böses, Missgestaltetes und Unrechtes. Nicht nur ein missbrauchter, verängstigter kleiner Junge, sondern etwas Schlimmeres. Etwas von meinem Vater in mir. Und obwohl ich straffrei davongekommen bin, lebe ich seitdem mit den Folgen dieses Blicks.
Ich lebe damit, mir immer wieder zu sagen, dass es nicht stimmen konnte. Dass ich nicht wie mein Vater war. Dass es für alles eine menschliche Erklärung gibt. Dass es das Böse nicht gibt.
Während ich in der Tür zum Schlafzimmer meiner Eltern stand, fiel mein Blick auf den verblassten Rotweinfleck aus Blut, der in die hintere Wand eingezogen war. Dann ging ich den Flur zurück zur zweiten Tür: zu meinem alten Zimmer. Vor der Tür hielt ich inne, im Zweifel, ob ich hineinsehen sollte, tat es aber schließlich doch.
Das Erste, was mir auffiel, war, wie klein es war.
Hatten hier zwei Jungen überhaupt behaglich schlafen können? Ein unvorstellbarer Gedanke, jetzt. Selbst ohne Möbel war es nur wenig größer als ein Schrank: eine dunkle, fensterlose Zelle. Aber wir hatten hier geschlafen, und hier waren wir in jener Nacht aufgewacht, und mein Leben hatte eine andere Richtung genommen.
Allen Bemühungen zum Trotz war ein Teil von mir immer hier zurückgeblieben und in dem Vernehmungszimmer mit Franklin. Ich hatte nie wirklich an die Dinge geglaubt, die ich mir immer gesagt hatte. Ich hatte zu sehr aufbegehrt. Aber jetzt … könnte sich das vielleicht doch ändern. Franklin hatte mich als Erwachsenen nicht wiedererkannt. Und dieser Raum war in Wirklichkeit leer. Es gab hier keine Geister. Keine blassen Kinder, die zitternd dort kauerten, wo früher ein Bett stand. Kein Schwarzweißfoto von einer Frau, die schreiend auf mich zukommt, weil ich sie nicht gerettet habe.
Es war ein Raum, der auszufüllen war, wie ich es für richtig hielt.
Daher dachte ich: Ich bin nicht böse.
Ich muss nicht zwangsläufig ein schlechter Vater sein.
Ich muss keinen schlechten Sohn haben.
Ich stand dort noch eine Weile, füllte dieses Nichts auf und ging dann.
Während ich durch den Flur zurückging, mich vorsichtig die Stufen hinuntertastete und ins dämmrig graue Tageslicht hinaustrat, dachte ich an Rachel – an die Liste mit den Eigenschaften auf ihrem Profil auf der Online-Dating-Seite, von denen ich mich anfangs angezogen gefühlt und von denen ich in der Therapiesitzung gesprochen hatte. Auf der Liste hatte noch etwas gestanden, das ich nicht erwähnt hatte. Zwei Details, die sie angegeben hatte und die damals die wichtigsten überhaupt waren.
Kinder, hatte sie geschrieben: nein.
Kinderwunsch: niemals.
Ich hatte das immer im Hinterkopf behalten. Bis sie ihre Meinung im letzten Jahr vollständig geändert hatte und ich gezwungen war, eine Entscheidung zu treffen: mich mit meinen Ängsten auseinanderzusetzen, Vater zu werden und was das bedeuten mochte, oder die Frau zu verlieren, die ich liebte und mehr als alles brauchte. Weder die eine noch die andere Vorstellung schien mir erträglich. Und die Gratwanderung zwischen beiden hatte mich seitdem zerrissen. Uns auseinandergerissen.
Es ist, als wollte er etwas sagen, tut es aber nicht.
Ja, genau so ist es gewesen.
Aber vielleicht könnte sich das bald ändern.
52
M itten in der Nacht war es so weit.
Ich erinnere mich nicht genau, was ich träumte, nur dass es etwas über James Miller war. In einer Szene kam er am Rand der Hawthorne Road langsam und unbeirrt auf mich zu. Mit diesem Hammer in der Hand und diesem Ausdruck im Gesicht. Außer uns war niemand unterwegs, und dieses Mal konnte ich meine Waffe nicht
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