Kind des Bösen: Psychothriller (German Edition)
Besonderes. Ohne Maske und Handschuhe würde er im Straßenbild gar nicht auffallen.
Irgendjemand. Niemand.
Er trug eine weiße Tüte in der Hand. Zwar war deren Inhalt nicht eindeutig auszumachen, aber von den vorangegangenen Morden wusste ich, dass es ein Hammer sein würde und sich nun etwas Grauenhaftes abspielen würde.
Und dann ging es los.
Breitbeinig stellte er sich über den Mann und hieb ihm den Beutel fünf Mal mitten ins Gesicht. Dank der mäßigen Bildqualität blieben uns Details glücklicherweise erspart. Dennoch war klar zu erkennen, wie der Kopf des Mannes immer wieder hochsprang und das Gesicht sich allmählich blutrot verfärbte. Das Mikrophon hielt jeden matschig klingenden Schlag detailgetreu fest.
»Okay«, sagte Garretty. »Ich geh dann mal.«
»Gute Idee.«
Ich hätte ihm gern Gesellschaft geleistet. Zwei Minuten des Films hatten wir erst gesehen. Fünf standen uns noch bevor.
Wir hielten durch.
Wir sahen zu, wie der Kerl sich mit einem Schraubenzieher am Unterbauch des Mannes zu schaffen machte, ihm das Werkzeug wie die Nadel einer Nähmaschine immer wieder hineinstieß, und wir sahen zu, wie er auf die Verletzungen trat. Dann fing er an, die Überreste des Gesichts seines Opfers mit dem Schraubenzieher zu bearbeiten; immer wieder umging er dabei die kraftlosen Versuche des Mannes, sich mit dem Arm zu schützen. Während der ganzen Zeit wurde das grauenerregende Gurgeln des Mannes aufgezeichnet, der versuchte, durch Nase und Mund zu atmen und zu schreien, obwohl sie nicht mehr dort waren, wo sie hingehörten, und auch nicht mehr das waren, was sie hätten sein sollen.
Schließlich schlug der Killer mit dem Hammer auf den Kopf des Mannes ein, bis der Körper erschlaffte. Aber auch in dem Moment war schwer zu sagen, ob er tot war.
Der Mörder trat aus dem Ausschnitt heraus hinter die Kamera zurück. Der reglose Körper war noch ein paar Sekunden zu sehen, bis das Bild wieder ruckelte, als er die Kamera vom Stativ nahm.
»Das ist ein Snuff-Movie«, stellte Laura fest.
Ihre Stimme klang seltsam.
Ich nickte. »Alles in Ordnung mit dir?«
»Nein.«
»Mir geht’s genauso.«
Mehr gab es nicht zu sagen. Wir warteten aber trotzdem die letzte Minute ab, in der er mit der Kamera in der Hand auf den Mann zuging und sein Motiv näher heranzoomte, um die abscheulichen Wunden, die er ihm zugefügt hatte, in Großaufnahme zu zeigen. Was vom Kopf des Mannes übrig geblieben war, ließ menschliche Züge nicht einmal andeutungsweise mehr erahnen. Nichts als ein rotes Etwas im hellgrünen Gras.
»Wo ist das?«, fragte Laura leise.
»Ich weiß es nicht. Wir müssen es herausfinden …«
In dem Augenblick schwenkte der Killer die Kamera von dem Toten im Gras weg und richtete sie mit einer langsamen Bewegung auf die Umgebung. Meine Haut, die sich bereits fiebrig anfühlte, überzog ein kalter Schauer.
Denn dort, gar nicht weit entfernt, lagen weitere Leichen.
Er ließ die Kamera über die erste, zweite, dritte … vierte wandern.
Mein Gott.
Fünf.
Bei der fünften Leiche verharrte er. Die Kamera ruckelte leicht. Die Aufnahme war beendet, und wir saßen schweigend da.
»Verdammte Scheiße«, entfuhr es Laura.
Wenn auch so leise, dass ich es kaum hörte. Und ich machte mir auch nicht klar, wie untypisch es für sie war, zu fluchen. Ich war wie gelähmt, unfähig, Neues aufzunehmen. Das Erste, was zu mir vordrang, war die Erkenntnis, dass unser Mann einen ganz bestimmten Ort hatte, an dem er mordete. Einen Ort, den wir noch nicht gefunden hatten.
Einen, an dem er, auch das wussten wir jetzt, in diesem Augenblick eine neue Leiche ablegte.
»Ja«, sagte ich. »Wir müssen die Stelle unbedingt finden.«
28
W illkommen im Darkroom.«
»Wo?«, sagte ich.
Detective Sergeant Renton machte die Tür zu seinem »Büro« hinter uns zu und sah uns auf einmal verlegen an.
»Im Darkroom. Wir nennen ihn so, unter uns. Keine Fenster, wie Sie sehen. Und die Jalousie an der Tür halten wir ebenfalls geschlossen. Auch wegen dem, was wir hier machen.«
Ich sah mich um. »Guter Name.«
Es war ein kleiner Raum, nicht größer als drei mal fünf Meter vielleicht. Der einzige nicht okkupierte Platz war der Tür vorbehalten, die sich hinter mir befand. Alle Wandflächen waren mit Regalen zugehängt, alle gerammelt voll mit Computerausrüstung, Nachschlagewerken, Aktenordnern und Mappen, darunter ein paar Schreibtische und leise vor sich hin brummende Monitore. Über den borstigen, kurzflorigen Teppich
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