Kind des Glücks
mich als unwissende Landpomeranze in Nöten und nicht mehr als absichtlich unverschämtes Gör. »Nouvelle Kind des Glücks, Ausländerin, no? Wakaru. Attends, Kind: Edoku ist ein Magnet für arme Kinder des Glücks, nicht wahr, und deshalb wollen wir ihnen nicht mit zuviel öffentlicher Großzügigkeit entgegenkommen, no, damit das, was schon eine Sturmflut ist, nicht zu einem Tsunami wird. Voilà, die öffentlichen Bedürfnisanstalten, wo Sie alles Notwendige zum Überleben finden können, am Rande physischer Unbequemlichkeit, aber nicht mehr.«
Ich dankte ihm überschwenglicher, als dieser bescheidenen Hilfe zukam, und eilte – genaugenommen rannte ich – zu der Gegend, die er beschrieben hatte, und dort im Wäldchen, vor zufälligen Blicken durch hohe Hecken verborgen, fand ich das erste unästhetische Gebäude, das ich auf Edoku gesehen hatte. Vraiment, wie im Kontrast zu jedem anderen Gebäude in der Stadt schien die öffentliche Bedürfnisanstalt – oder besser, die Anstalten, denn im Stadtgebiet waren Hunderte identischer Stationen versteckt – entworfen, um allen Vorstellungen von Ästhetik zu spotten. Es war ein einstöckiger, fensterloser Kasten aus einem glatten grauen Material, und die vollkommene Gleichförmigkeit seiner Fassade wurde nur durch eine rechteckiges, türloses Portal gebrochen.
Drinnen wirkte die Bedürfnisanstalt kaum weniger freundlich. Alle Innenflächen bestanden aus derselben grauen Substanz, waren völlig ungeschmückt, und die Beleuchtung kam unheimlich blauweiß und grell aus nackten Birnen von der Decke. Der zentrale Bereich des einzigen Raums war Bänken und Tischen vorbehalten, die nahtlos aus dem grauen Material des Bodens wuchsen; auf diesen saßen etwa ein Dutzend Menschen in mehr oder weniger meinem Alter. Am hinteren Ende des Raumes befanden sich Duschkabinen, deren Türen nur wenig verbargen, denn ich konnte unter ihnen die Unterschenkel der Benutzer sehen. Rechts vom Eingang stand eine Theke mit einem gelangweilten Alten dahinter, ein langes Regal mit ein paar Dutzend grauen Kleidern, eine Reihe Wasserkräne und ein langer schmaler Tisch, auf dem seltsame, gummiartige graue Blöcke aufgetürmt waren.
Ich nahm die Einrichtung sozusagen en pissant wahr, denn an der linken Wand waren die Toiletten, und ich eilte sofort zur nächsten freien Kabine, nachdem ich einem jungen Mann in einem einzigartig abstoßenden grauen Gewand nur kurz zugenickt hatte. Er wies mir mit einer völlig überflüssigen Geste freundlich und belustigt die Richtung.
Nachdem ich mich sowohl von meinen Stoffwechselabfällen als auch vom Kummer über mein nicht gerade anmutiges Eintreten befreit hatte, verließ ich die Kabine, um mein Debüt als Angehörige der Gesellschaft in den öffentlichen Bedürfnisanstalten zu versuchen und mich über die Natur der Einrichtungen und Dienste zu informieren, die Edoku in seiner Großzügigkeit den mittellosen Kindern des Glücks wie mir gewährte.
Da ich nun die dringendste Angelegenheit erledigt hatte, konnte ich mich etwas gelassener um meinen Durst und meinen Hunger kümmern. So wandte ich mich zuerst zu einem der Wasserkräne, wo ich mich mit Wasser sättigte, das lauwarm und so geschmacklos war, daß die Vollkommenheit dieses Nichts schon wieder bemerkenswert schien.
Essen schien es allerdings nirgends zu geben, und so stellte ich mich zwei Jungen und einem Mädchen vor, die zusammen am nächsten Tisch saßen. »Hallo, ich bin Moussa Shasta Leonardo. Meine Mutter, Shasta Suki Davide…«
Der jüngere der Burschen, die beide wie das Mädchen in das häßliche graue Gewand gekleidet waren, hob die Hand, um meine Namensgeschichte zu unterbrechen. »Neu, was?« sagte er. »Wir erzählen uns hier keine Namensgeschichten, weil wir gerade begonnen haben, die Geschichte unserer Eigennamen zu leben. Alles, was wir haben, sind die Kindernamen, die uns jemand anders gab, und die Vaternamen und Mutternamen bedeuten dem wirklichen Kind des Glücks nichts. In den Bedürfnisanstalten bist du einfach Moussa, ich bin Dan, sie ist Jooni, und er ist Mart.«
Während mir diese bizarre Sitte der Vorstellung völlig unzivilisiert vorkam, sah ich mich doch nicht in der Lage, ihnen einen Vortrag über Manieren zu halten; sie schienen freundlich, und immerhin hatte ich dringendere Bedürfnisse, als ihre Namensgeschichten zu hören. »Bien«, sagte ich liebenswürdig. »Wie du richtig vermutest, bin ich völlig ahnungslos über den Betrieb in den öffentlichen
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