Kind des Grals
und Größe könnte sich in einem so begrenzten Gefäß wie dem Lilienkelch erstrecken, kratzte an ihrem Selbstbewußtsein. Weil ihr plötzlich klar wurde, womit sie es nicht erst jetzt, sondern auch schon in der Vergangenheit zu tun gehabt hatte.
Die wahre Beschaffenheit des Kelches, den die Ur-Lilith ihren Kindern in die Hand gegeben hatte, warf auch ein bezeichnendes Licht auf deren unerhörte Macht und Stärke .
Gott hätte gut daran getan, sie nicht nur einzukerkern, sondern die Keimzelle, in der sich schon damals das Urböse eingenistet hatte, auszumerzen, rumorte es in Liliths wie gläsern gewordenem Hirn.
Wie eine Kette nackter Gedanken reiste sie durch dieses Wunder aus Magie, dessen Größe nur Illusion sein konnte.
Wirklich?
Der lautlos pulsierende Quell ewiger Kraft kam näher - sie kam ihm näher.
- Was ist schon ewig? brachte sich Anum mit einer Frage in Erinnerung. Seine Präsenz war plötzlich so intensiv, als befände er sich nicht nur nah bei, sondern in ihr.
Wie Beth. Nur noch sehr viel klarer. Und dominanter.
- Ein netter Ausflug, um den ich jedoch nicht gebeten hatte , versuchte sie ihre wahren Gefühle und Gedanken zu verheimlichen, schon aus Gründen der Scham. Du magst dich hier wohlfühlen - ich mich nicht. Außerdem weiß ich nicht -
- Gleich. Wir sind gleich da. Dann wirst du verstehen. Er schien unbeirrbar in seinem Glauben.
Lilith ertappte sich dabei, wie sie ihn darum beneidete. Ganz offenbar hatte er etwas, woran er glaubte. Und das, obwohl auch er vor den Trümmern seiner Zukunft gestanden hatte, als er außerplanmäßig im Dunklen Dom des Ararat erwacht war. Wie niederschmetternd hatte es für ihn sein müssen, eine Welt vorzufinden, die sich völlig von der ihm versprochenen unterschied?
Sie hatten wenig Gelegenheit gehabt, sich über die jeweiligen Enttäuschungen des anderen zu unterhalten. Aber die kurze Zeit des intensiven Zusammenseins hatte beiden klargemacht, wie ähnlich ihre Schicksale bei allen Unterschieden waren.
- Gut. Zeig mir, was du mir zeigen wolltest. Und dann weise mir den Weg hier heraus. Vergiß nicht die Kinder. Sie sind sich selbst überlassen, solange wir beide ...
- Kümmere dich nicht um die Kinder. Was sie betrifft, habe ich Vorsorge getroffen. Schließlich brauchen wir sie noch - wenn auch du bereit bist, die Taufe zu vollziehen. Denn du wirst fühlen, was ich gefühlt habe, als ich schon einmal hier war - eingesperrt, als du mich ungewollt hierher verbannt hattest, erinnerst du dich? - Und nun konzentriere dich auf das, was ich dir zeigen will. Dort... sieh nach vorn!
Es dauerte eine Weile, bis Lilith begriff, was genau Anum ihr zeigen - oder demonstrieren - wollte.
Voraus pochte das Herz des Kelchs, und es erinnerte an ein »Schwarzes Loch«, einen Sternenmoloch, dessen extreme Schwerkraft nicht einmal mehr das Licht entkommen läßt, das auf ihn fällt.
Die Korona, die das Gebilde umgab, schien noch finsterer als das HERZ selbst zu sein. Sie machte dessen pulsierenden Takt auch nicht mit, sondern schien ihn zu dämpfen, zu fesseln.
Du vermutest richtig, erreichte Anum Liliths Gedanken, als wäre er tatsächlich so damit verschmolzen, daß er sie lesen konnte wie seine eigenen. Umgekehrt gelang Lilith dies nicht.
Was das HERZ wie dorniges Gestrüpp erstickt, fuhr Anum fort, entspringt nicht der Magie, die den Kelch ausmacht. Es ist ein Fremdkörper. Ein Anachronismus. Und ich vermute, er verhindert, daß der Lilienkelch seiner ursprünglichen Bestimmung zugeführt werden kann.
Lilith gab sich eine Weile der Faszination dieses unüberwindbar, unzerstörbar scheinenden »Mantels« hin.
Wenn es so wäre, wie du vermutest, gab sie schließlich zur Antwort, wäre es noch unverzeihlicher, weitere Leben für Experimente zu opfern, die
von vornherein zum Scheitern verurteilt sind!
Wider Erwarten pflichtete Anum ihr bei. Ich weiß nicht, wer die Macht besaß, diese Fessel anzulegen. Aber wenn sie jede Taufe verhindert, jedes Blut in ein Gift verwandelt, so werde ich meine Absicht aufgeben. Dann sollen die Kinder, die dir so wertvoll scheinen, verschont bleiben.
- Das hört sich ... akzeptabel an.
- Wirklich? Und was ist, wenn sich das bestätigt, was ich seit meinem ersten Aufenthalt hier vermute?
- Worauf willst du hinaus?
- Darauf, daß ich eine Verwandtschaft zwischen dir und dieser Blockade spüre.
- Das ist absurd.
- Es ist mehr als das - und ein weiteres Geheimnis, was dich angeht. Es dürfte nicht sein, aber wenn sich
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