Kinder der Dunkelheit
Mille grazie. Molto gentile ...“
„Sie können gern Deutsch sprechen. Ich habe Ihre Sprache g elernt, vor einer Weile schon. Bitte kommen Sie doch ein Stück von dem Kanal weg. Dort ist es zu gefährlich.“
„Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, weiß ich das auch, aber es sah so schön aus.“
„Das kann ich gut verstehen. Ich freue mich, dass Ihnen meine Stadt gefällt.“
Sabine war zwar etwas verwundert, dass er Venedig als „seine Stadt“ bezeichnete, aber jemandem mit solch einem Lächeln überließ man gern ganze Städte. Da konnte man dann problemlos etwas großzügiger sein.
„Sind Sie in Ordnung? Haben Sie sich verletzt?“
„Soweit ich fühlen kann, ist alles in Ordnung. Es ist wirklich nichts passiert!“ So ein Unsinn! Als Sabine ihre eigenen Worte hörte, wusste sie, dass es eine Lüge war. Es war sehr wohl etwas passiert. Sie hatte in diese traumhaften Augen gesehen und dieses unve rschämte Lächeln fühlte sich an wie heißer Zimtwein. Sie rief sich krampfhaft zur Vernunft, aber wenn sie anfing, an heißen Zimtwein zu denken, dann wurde das mit der Vernunft verflixt schwer.
„Verzeihung, darf ich mich Ihnen vorstellen? Mein Name ist Luca de Marco. Würden Sie mir wiederum die Freude machen, mir zu verraten, wen ich hier im Arm halten durfte?“
Sabine spürte, wie sie zu allem Überfluss jetzt auch noch du nkelrot anlief, und schaffte es nur mit Mühe, in einigermaßen gleichmütigem Ton zu antworten: „Sabine, ich heiße Sabine. Herzlichen Dank für Ihre Hilfe. Ich denke, den Rest des Weges schaffe ich allein, ohne weitere Stürze.“
„Darf ich Sie trotzdem begleiten? Ich möchte nicht aufdringlich erscheinen, aber eine schöne Frau allein in der Nacht, das ist nicht ungefährlich. Bitte.“
Sabine war viel zu erfreut über sein Kompliment, als dass sie hätte ablehnen können. Zu dem Gefühl von Leichtigkeit, das sie ergriffen hatte, als sie die Pension in Richtung Pizzeria verließ, kamen nun noch andere: großes Vertrauen und Freude über ihren neuen Begleiter – nun gut sehr große Freude –, der eine ungewohnte Faszination auf sie ausübte. Sie wusste den kürzesten Weg zu ihrer Pension sehr wohl, doch gerade in diesem Moment war ihr plötzlich und unerklärlicherweise nach enorm viel Bewegung an frischer, klarer Nachtluft.
An Lucas Seite lief sie durch die Gassen, lauschte seinen for mvollendet formulierten Erzählungen über diverse Piazzas und Palazzi. Dass sie im Kreis gelaufen waren und auf diese Weise halb Venedig erkundet hatten, erkannte sie erst, als sie wieder im Studentenviertel an einem der kleinen Cafés ankamen. Luca lud sie zu einem Kaffee ein, den sie nur zu gern annahm und der wunderbar duftete und herrlich wärmte. Sie verspürte prompt den Anflug eines schlechten Gewissens, als sie sah, dass er nichts trank.
„Mögen Sie keinen Kaffee?“
„Oh doch, aber wenn ich ihn jetzt noch trinke, finde ich später keinen Schlaf.“ Er grinste dabei so schelmisch, dass sie lachen musste. Noch immer lächelnd beugte er sich über den Stehtisch und bat sie darum, nur daran riechen zu dürfen.
„Ich liebe die guten Düfte dieser Welt, müssen Sie wissen, der Duft dieses Getränks gehört eindeutig dazu.“
Sabine hielt ihm die dampfende Tasse unter die Nase und lächelte ebenfalls, als er genießerisch mit geschlossenen Augen das Aroma einsog.
„Köstlich!“
Warum sie es tat, dafür fand sie im Nachhinein keine Erklärung. Wahrscheinlich lag es an seinen fast schon hypnotischen Augen, die offenbar die Fähigkeit hatten, in ihre Seele vorzudringen und sich wie ein Umhang aus Samt behutsam darum zu legen. Also erzählte sie Luca von ihrer Flucht aus München, ihrer Angst und ein wenig auch davon, wie sie sich fühlte. Das Kribbeln im Bauch, die vor Aufregung feuchten Hände und den derzeit wohl verdreifachten Herzschlag aber sparte sie dann intelligenterweise doch aus.
Der schöne Fremde hörte ihr aufmerksam zu und als er ihr sa gte, sie müsse fortan keine Angst mehr haben, denn Venedig würde sie schützen, verstand sie das zwar nicht, aber es fühlte sich gut an. Nur ungern machten sich beide endgültig auf den Heimweg. Viel zu schnell kamen sie an der Pension an, obwohl Sabine extra langsam gelaufen war. In ihr meldete sich ein wenig Angst, den schönen Fremden vielleicht niemals wiederzusehen, doch das schien er gespürt zu haben. Kaum an der Tür ihres derzeitigen Domizils angekommen, stellte er auch schon die ersehnte Frage.
„Sabine, ich
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